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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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Plötzlich
setzte sie hinzu: »Du kommst also von Westen, auf der Straße. Nach so jemandem
suchen sie hier gerade.« Er stand auf. »Ich muß mich nach dieser Herberge
umsehen.« Er legte Geld auf den Tisch. Das Mädchen flüsterte: »Ich hab' mein
eigenes Zimmer. Der Neubau hinterm Friedensplatz. Es sind Arbeiterwohnungen.
Sie haben nichts dagegen, dort. Ich mach', was du willst.«
    Leiser schüttelte den Kopf. Er
nahm sein Gepäck und ging zur Tür. Sie sah ihn noch immer an, und er wußte,
daß sie mißtrauisch war. »Wiedersehen«, sagte er. »Ich würde auch nichts sagen.
Nimm mich mit.«
    »Ich trank einen Steinhäger«,
murmelte Leiser. »Wir haben kein Wort miteinander geredet. Du hast die ganze
Zeit deine Platten gespielt.« Sie hatten beide Angst.
    Das Mädchen sagte: »Ja. Die ganze
Zeit Platten.«
    »Es war nie gesperrt, bist du ganz
sicher? Langdorn, Wolken, Kalkstadt, vor sechs Wochen?«
    »Wozu sollte irgend jemand hier
Sperren errichten?«
    »Nicht mal der Bahnhof?«
    Sie sagte
schnell: »Vom Bahnhof weiß ich nichts. Im November war das Gebiet einmal für
drei Tage gesperrt. Niemand hat eine Ahnung, warum, 'ne russische Einheit war
da, ungefähr fünfzig Mann. Sie lagen hier in der Stadt. Mitte November.«
    »Fünfzig?
Panzer, oder was?«
    »Mit
Lastwagen. Weiter im Norden waren Manöver. Bleib bei mir heute nacht. Bleib.
Nimm mich mit. Ich geh' überall hin.«
    »Welche
Farbe hatten die Schulterklappen?«
    »Weiß
nicht.«
    »Woher
kamen sie?«
    »Sie waren
neu. Ein paar waren aus Leningrad, zwei Brüder.«
    »Wohin
gingen sie von hier?«
    »Norden. Hör zu, niemand wird
etwas davon erfahren. Ich rede nicht. Zu der Sorte gehöre ich nicht. Ich mach'
dir alles, alles, was du willst.«
    »In Richtung Rostock?«
    »Sie sagten, daß sie nach Rostock
gehen. Wir sollen nicht darüber sprechen. Die Parteileute waren deshalb in
jedem Haus.«
    Leiser nickte. Er schwitzte.
»Wiedersehen«, sagte er. »Wie ist es mit morgen? Morgen abend? Ich mach', was
du willst.«
    »Vielleicht.
Sag es niemandem. Verstehst du?« Sie schüttelte den Kopf: »Ich werd's ihnen
nicht sagen. Mir ist das doch egal. Frag nur nach dem Hochhaus hinterm
Friedensplatz. Tür neunzehn. Kannst jederzeit kommen. Ich mach selbst auf. Wenn
du zweimal läutest, weiß ich, daß es für mich ist. Brauchst nichts zu
bezahlen.« Dann sagte sie: »Gib acht auf dich. Überall sind Leute. In Wilmsdorf
ist ein Junge umgebracht worden.«
    Er ging
zum Marktplatz, nun wieder vorsichtig, denn er fühlte sich von allen Seiten
bedroht, suchte den Kirchturm und die Herberge. In der Dunkelheit huschten vermummte
Gestalten an ihm vorbei. Manche trugen noch alte Uniformstücke, Feldmützen oder
die langen Mäntel, die sie im Krieg gehabt hatten. Ab und zu, wenn er gerade
unter einer der matten Straßenlaternen vorbeikam, versuchte er einen Blick in
ihre Gesichter zu werfen, und dann forschte er in diesen verschlossenen,
ausdruckslosen Mienen nach dem, was er haßte. Er sagte sich: »Hasse diesen Kerl
- er ist alt genug.« Aber es berührte ihn nicht. Sie waren nichts. In einer
anderen Stadt, an einem anderen Ort hätte er vielleicht jemanden für seinen Haß
finden können. Hier nicht. Diese Leute hier waren alt und nichts weiter. Arm
und allein wie er selbst. Der Kirchturm war schwarz und leer. Er erinnerte ihn
plötzlich an den Turm an der Grenze, an die Garage nach elf Uhr abends, an den
Augenblick, als er den Posten tötete: ein Kind noch, wie er selbst es im Krieg
gewesen war, jünger sogar noch als Avery. »Jetzt sollte er eigentlich schon
dort sein«, sagte Avery.
    »Ganz
richtig, John. Er sollte wohl schon dort sein, nicht wahr? Nur noch eine
Stunde. Noch ein Fluß zu überqueren.« Er begann zu singen, aber niemand fiel
ein.
    Schweigend saßen sie einander
gegenüber. »Kennen Sie übrigens den Alias-Club?« fragte Johnson plötzlich.
»Bei der Villiers Street? Vom alten Haufen kommen ziemlich viele dort hin.
Sollten einmal am Abend mitkommen, wenn wir wieder zu Hause sind.«
    »Danke«, sagte Avery. »Mach ich
gerne.«
    »In der Weihnachtszeit ist es dort
sehr nett«, sagte Johnson. »Das ist die Zeit, in der ich oft dort bin. Ein netter
Verein. Ein oder zwei kommen sogar in Uniform.«
    »Klingt
sehr nett.«
    »Silvester
machen sie eine Party mit Damen. Sie könnten Ihre Frau mitbringen.«
    »Prima.«
    Johnson zwinkerte. »Oder Ihre
Freundin.«
    »Für mich gibt's nur Sarah«, sagte
Avery. Das Telefon läutete. Leclerc stand auf, um

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