Carre, John le
Gehen Sie.«
Es gab
keine Straßensperre. Unversehens war er mitten in Langdorn. Es war schon
finster. Das einzige Licht auf der Straße war der schwache Schein, der sich
hinter den geschlossenen Fensterläden hervorstahl und kaum bis aufs nasse
Pflaster fiel. Kein Verkehr auf der Straße. Der Lärm seines Motorrades beunruhigte
ihn, es klang wie ein Fanfarenstoß über den Marktplatz. Leiser dachte, im Krieg
gingen sie immer früh zu Bett, um sich warm zu halten. Vielleicht hatte sich
das nicht geändert.
Es war
Zeit, das Motorrad loszuwerden. Er fuhr durch die Stadt hindurch und fand am
anderen Ende eine unbenutzte Kirche, wo er das Rad neben der Sakristeitür
stehenließ. Er ging in die Stadt zurück, zum Bahnhof. Der Beamte war in
Uniform. »Kalkstadt. Einfach.«
Der Beamte
streckte die Hand aus. Leiser nahm einen Geldschein heraus und gab ihn ihm. Der
Beamte schüttelte ihn ungeduldig. Einen Augenblick starrte Leiser ratlos auf
die vor ihm herumfuchtelnde Hand und das ärgerliche, mißtrauische Gesicht
hinter dem Schalterfenster.
Plötzlich schnauzte der Beamte:
»Personalausweis!« Leiser lächelte um Verzeihung bittend. »Daran habe ich gar
nicht gedacht«, sagte er und öffnete die Brieftasche, um die Karte in ihrem
Zellophanfenster zu zeigen.
»Nehmen
Sie sie heraus«, sagte der Beamte, und Leiser sah ihm dabei zu, wie er den
Ausweis unter dem Licht seiner Schreibtischlampe prüfend betrachtete.
»Reisegenehmigung?«
»Ja,
natürlich«, Leiser gab ihm das Papier.
»Warum
fahren Sie nach Kalkstadt, wenn Sie nach Rostock reisen?«
»Unser Betrieb hat Maschinen per
Bahn nach Kalkstadt geliefert. Schwere Turbinen und Werkzeugmaschinen. Müssen
montiert werden.«
»Wie sind Sie bis hierher
gekommen?«
»Jemand hat mich mitgenommen.«
»Das Mitnehmen von Anhaltern ist
verboten.«
»In diesen Zeiten muß man sehen,
wie man vorankommt.«
»In diesen Zeiten?«
Der Mann preßte seine Nase gegen
die Scheibe und blickte auf Leisers Hände hinunter. »Mit was spielen Sie da
unten herum?« fragte er grob. »Eine Kette. Meine Schlüsselkette.«
»So. Also die Maschinen müssen
montiert werden, wie? Und weiter?«
»Ich kann das unterwegs erledigen.
Die warten in Kalkstadt schon sechs Wochen. Der Transport hat so lange
gedauert.«
»So?«
»Wir haben nachgeforscht, bei der
Eisenbahn.«
»Und?«
»Keine Antwort.«
»Sie
müssen eine Stunde warten. Der Zug geht um halb sieben.« Pause. »Haben Sie's
schon gehört? Bei Wilmsdorf haben sie einen Jungen umgebracht«, sagte er.
»Schweine.« Er gab das Wechselgeld herüber. Leiser wußte nicht, was er tun
sollte. Er wagte es nicht, sein Gepäck in die Aufbewahrung zu geben. Er konnte
nichts anderes tun, als eine halbe Stunde umherzulaufen, dann kehrte er zum
Bahnhof zurück. Der Zug hatte Verspätung.
»Ihnen
beiden gebührt große Anerkennung«, sagte Leclerc mit einem dankbaren Nicken in
Richtung von Haldane und Avery. »Auch Ihnen, Johnson. Von jetzt an gibt es
nichts, was irgendeiner von uns noch dazu beitragen könnte. Alles hängt jetzt
von Mayfly ab.«
Avery
bekam ein Extralächeln: »Was ist mit Ihnen, John? Sie sind so still. Glauben
Sie, daß Sie wertvolle Erfahrungen haben sammeln können?« Und mit einem
Lachen, das für die beiden anderen bestimmt war, sagte er: »Ich hoffe wirklich,
daß wir nicht plötzlich eine Scheidung auf dem Gewissen haben. Wir müssen Sie
jetzt so schnell als möglich zu Ihrer Frau nach Hause schicken.«
Er saß auf
der Tischkante und hatte seine Hände über dem Knie gefaltet. Als Avery nichts
sagte, erklärte er strahlend: »Ich habe einen Vermerk von Carol bekommen- - du
weißt es, Adrian -, daß ich die junge Ehe zerstöre.«
Haldane
lächelte, als sei das eine erheiternde Bemerkung. »Ich bin sicher, daß diese
Gefahr nicht besteht«, sagte er.
»Er hat ja
auch bei Smiley großen Eindruck gemacht: wir müssen aufpassen, daß sie ihn uns
nicht wegschnappen!«
19. Kapitel
Als der
Zug in Kalkstadt hielt, wartete Leiser, bis die anderen Reisenden den Bahnsteig
verlassen hatten. Ein älterer Beamter sammelte die Fahrkarten ein. Er sah
freundlich aus.
»Ich suche
nach einem Freund«, sagte Leiser, »einen Mann namens Pritsche. Er hat hier
gearbeitet.«
Der Beamte
runzelte die Stirn.
»Pritsche?«
»Ja.«
»Wie ist
sein Vorname?«
»Ich weiß
nicht.«
»Wie alt
ist er denn? Wenigstens ungefähr?« Leiser sagte auf gut Glück: »Vierzig.«
»Pritsche, hier, auf diesem
Bahnhof?«
»Ja. Er wohnte in
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