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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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keinen einzigen Menschen, der nicht gewußt hätte,
daß man Leclerc und Avery mitten in der Nacht herausgeklingelt hatte, und daß
der Chef in seinem Büro schlafen würde.
    Sie ließen
sich am Tisch nieder und stellten, wie es Kinder beim Essen tun, ihre Tassen
klappernd vor sich ab. Leclerc saß am Kopfende des Tisches, die anderen an den
Längsseiten. Der Stuhl am entgegengesetzten Ende blieb leer. Dann kam Haldane
herein, und kaum hatte Avery ihn erblickt, wußte er, daß es zwischen ihm und
Leclerc einen Kampf geben würde. Haldane sah auf den leeren Stuhl und sagte:
»Der zugigste Platz ist für mich, wie ich sehe.« Avery stand auf, aber Haldane
hatte sich schon gesetzt. »Lassen Sie nur, Avery, ich bin sowieso schon
krank.« Er hustete, wie er es das ganze Jahr über tat. Offenbar konnte ihm
nicht einmal das Sommerwetter helfen, denn er hustete zu allen Jahreszeiten.
Die anderen fühlten sich unbehaglich. Woodford nahm sich einen Keks. Haldane
warf einen Blick auf das Feuer. »Das ist das Beste, was die Gebäudeverwaltung
bieten kann?« fragte er.
    »Es liegt
am Regen«, sagte Avery. »Der Regen verträgt sich nicht mit dem Feuer. Pine hat
schon irgendwas unternommen, aber das hat es nicht besser gemacht.«
    »Ach.«
    Haldane
war ein hagerer Mann mit langen, nervösen Fingern, ein in sich verschlossener
Mensch mit langsamen Gesten, beweglichen Gesichtszügen, schütterem Haar,
mager, streitsüchtig und trocken. Ein Mann, der anscheinend auf alles und jeden
voller Verachtung herabsah, seine eigene Zeiteinteilung hatte und keinen
fremden Rat annahm. Ein Mann, dessen Leidenschaft dem Lösen von
Kreuzworträtseln und dem Sammeln von Aquarellen aus dem 19. Jahrhundert
gehörte.
    Carol
brachte einen Stoß Akten und Karten herein und legte ihn auf Leclercs
Schreibtisch, der im Gegensatz zu dem Rest des Zimmers sehr aufgeräumt war. Es
gab eine Minute peinlicher Stille, bis sie wieder hinausgegangen war. Nachdem
die Tür wieder sicher geschlossen war, fuhr sich Leclerc mit der Hand vorsichtig
über sein schwarzes Haar, als sei es ihm irgendwie fremd.
    »Taylor
ist getötet worden. Sie haben inzwischen alle davon gehört. Er wurde vergangene
Nacht in Finnland getötet, wo er unter einem falschen Namen unterwegs war.« Es
fiel Avery auf, daß er den Namen Malherbe nie erwähnte. »Einzelheiten wissen
wir nicht. Es sieht so aus, als hätte man ihn überfahren. Ich habe Carol
gesagt, sie solle herumerzählen, daß es ein Unfall war. Ist das klar?« Sie
sagten ja, es sei völlig klar. »Er war unterwegs, um von. von einem skandinavischen
Kontaktmann einen Film in Empfang zu nehmen. Sie wissen, wen ich meine.
Normalerweise schicken wir ja keine Kuriere in den Einsatz, aber dieser Fall
war etwas Besonderes. Wirklich ein ganz besonderer Fall. Ich glaube, daß mir
Adrian das bestätigen kann.« Mit offenen Händen machte er eine Bewegung nach
oben, wobei sich seine Handgelenke aus den Manschetten befreiten. Er legte
Handflächen und Finger senkrecht aufeinander; ein Gebet um Haldanes
Unterstützung.
    »Besonderes?«
wiederholte Haldane langsam. Die Stimme war so dünn und scharf wie der ganze
Mann. Sie war kultiviert, aber ohne Ausdruck und ohne Gefühl. Er war um seine
Stimme zu beneiden. »Es war anders. Ja. Nicht zuletzt deshalb, weil Taylor
starb.« Dann bemerkte er trocken: »Wir hätten ihn niemals schicken sollen.
Niemals. Wir haben einen der wichtigsten Grundsätze der Geheimdienstarbeit
verletzt. Wir benutzten einen Mann aus dem >offenen< Dienst für einen
geheimen Auftrag. Damit will ich nicht sagen, daß es überhaupt noch eine
geheime Seite in unserer Organisation gibt.«
    »Wollen
wir das Urteil darüber nicht unseren Meistern überlassen?« schlug Leclerc
zimperlich vor. »Schließlich werden Sie zugeben müssen, daß wir täglich vom
Ministerium gedrängt werden, Ergebnisse vorzulegen.« Er wandte sich erst nach
rechts, dann nach links zu den seitlich am Tisch Sitzenden, um sie wie
Aktionäre an dem Gespräch zu beteiligen: »Es ist an der Zeit, daß Sie die
Einzelheiten erfahren. Es handelt sich um ein Thema, das der höchsten
Geheimhaltung unterliegt. Ich bitte Sie, das zu bedenken. Ich schlage vor, das
Wissen auf die Abteilungsleiter zu beschränken. Bisher war nur Adrian Haldane
und ein oder zwei Leute aus seiner Auswertungsabteilung damit befaßt. Und John
Avery als mein Assistent. Ich möchte betonen, daß der uns verwandte Dienst
auch nicht das geringste davon weiß. Nun zu unseren eigenen Vorkehrungen.

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