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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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Das
Unternehmen hat den Decknamen Mayfly.« Er sprach abgehackt, mit wirkungsvoller
Stimme. »Es gibt für die Bearbeitung dieses Falles nur eine Akte, die jeden
Abend an mich persönlich zurückzugeben ist, oder - wenn ich nicht da bin - an
Carol. Eine Kopie ist für das Archiv. Wir haben dieses System während des
Krieges für Einsatz-Akten gehabt, und ich glaube, alle sind damit vertraut. Es
ist das System, das wir in Zukunft anwenden. Ich werde Carols Namen auf die
Liste der Berechtigten setzen.« Woodford deutete mit seiner Pfeife auf Avery
und schüttelte den Kopf: der junge John nicht, der war noch nicht mit dem
System vertraut. Sandford, der neben Avery saß, erklärte es ihm. Die Archivakte
wurde im Verschlüsselungsraum aufbewahrt, und es war verboten, sie von dort
wegzunehmen. Alle neuen Vorgänge waren sofort in dieser Akte abzuheften. Die
Berechtigungsliste war das Verzeichnis aller Personen, die befugt waren, darin
zu lesen. Die Verwendung von Klammern war untersagt, alle Blätter hatten fest
eingeheftet zu werden. Die Tischrunde blickte selbstgefällig auf Avery.
    Sandford
leitete die Verwaltung. Er war ein väterlicher Mann mit goldgefaßter Brille,
der auf einem Motorrad ins Büro fuhr. Leclerc hatte ihn deswegen einmal ohne
besonderen Grund zurechtgewiesen, und er stellte es weiter unten in der Straße
ab, gegenüber dem Krankenhaus.
    »Nun zu
unserem Unternehmen«, sagte Leclerc. Die dünne Linie seiner zusammengelegten
Hände teilte sein strahlendes Gesicht. Nur Haldane sah ihn nicht an, seine
Augen waren zum Fenster gewandt. Draußen fiel der Regen sacht gegen die
Häuser, wie Frühlingsregen in einem dunklen Tal. Leclerc stand unvermittelt
auf und ging zu der Wandkarte von Europa hinüber. Auf ihr waren kleine Fähnchen
eingesteckt. Während er sich auf die Zehen stellte und mit ausgestrecktem Arm
die nördliche Hemisphäre zu erreichen versuchte, sagte Leclerc: »Wir haben
hier einen kleinen Punkt, der uns Ärger mit den Deutschen macht.« Kurzes
Gelächter. »In der Gegend südlich Rostocks. Es ist ein Fleck mit dem Namen
Kalkstadt, hier, sehen Sie?« Sein Finger war der Ostseeküste
Schleswig-Holsteins gefolgt, nach Osten gefahren und hielt nun ein oder zwei
Fingerbreit neben Rostock.
    »Um es mit
einem Satz zu sagen: es gibt drei Anhaltspunkte, die den Verdacht nahelegen -
ich könnte nicht sagen, daß sie ihn bestätigen -, daß dort in Beziehung auf
militärische Anlagen etwas Großes vor sich geht.«
    Er wandte
sich um und sah seine Zuhörer an. Er gedachte, seinen Vortrag dort neben der
Landkarte zu halten, um damit zu zeigen, daß er jede Einzelheit im Kopf hatte und
nicht auf die Papiere an seinem Platz angewiesen war.
    »Der erste
Hinweis kam vor genau einem Monat, als wir den Bericht unseres Hamburger
Vertreters Jimmy Gorton erhielten.«
    Woodford
grinste: großer Gott, der alte Jimmy war noch immer im Geschäft?
    »In der
Nähe von Lübeck war ein ostdeutscher Flüchtling herübergekommen. Er war durch
die Trave geschwommen. Ein Eisenbahner aus Kalkstadt. Er ging zu unserem
Konsulat und wollte Informationen über eine Raketenbasis bei Rostock verkaufen.
Ich brauche nicht zu sagen, daß ihn das Konsulat hinauswarf. Da uns das
Auswärtige Amt nicht einmal die Möglichkeit gibt, seinen Kurierdienst
mitzubenutzen« - ein dünnes Lächeln -, »kann man kaum erwarten, daß es uns
durch den Ankauf militärischer Nachrichten unterstützt.« Der Witz wurde mit
fröhlichem Murmeln belohnt. »Wie dem auch sei. Durch einen glücklichen Zufall
hörte Gorton von dem Mann und fuhr nach Flensburg, um mit ihm zu reden.« Diese
Gelegenheit konnte Woodford nicht verstreichen lassen. »Flensburg? War das nicht
der Ort, den wir 41 als deutsches U-Bootnest ausgemacht hatten?« In Flensburg
hatte es ein großes Spektakel gegeben.
    Leclerc
nickte nachsichtig zu Woodford hinüber, als sei auch er von dieser Erinnerung
amüsiert. »Der arme Mensch war schon bei jeder alliierten Dienststelle in
Norddeutschland gewesen, ohne daß auch nur einer auf ihn hätte hören wollen.
Jimmy Gorton hat mit ihm geplaudert.«
    Leclercs
Art, die Dinge zu beschreiben, legte die Vermutung nahe, daß Jimmy Gorton der
einzige intelligente Mensch unter lauter Narren war. Jetzt ging Leclerc zu
seinem Schreibtisch hinüber, nahm aus der silbernen Dose eine Zigarette,
zündete sie an, und griff dann nach einem Aktendeckel, auf dem ein dickes rotes
Kreuz leuchtete. Geräuschlos legte er den Band vor sie auf den Tisch. »Das

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