Carre, John le
entdecken.
»Natürlich.«
Peersen
begann einen Brief nach dem anderen zu betrachten, wobei er einige in den vor
ihm liegenden Aktendeckel schob und andere in die Schublade zurücklegte. Ab
und zu, während er ein Blatt auf den Stoß vor ihm legte, murmelte er: »Ah so«,
oder »Ja-ja«. Avery fühlte, wie ihm der Schweiß über den Körper rann. Seine
verkrampften Hände waren feucht. »Und Ihr Bruder hieß Malherbe?« fragte
Peersen, als er mit dem Sortieren fertig war. Avery nickte. »Natürlich.«
Der
Polizeibeamte lächelte. »Keineswegs natürlich«, sagte er und hob seine Zigarre,
wobei er durchaus freundlich nickte, als habe er ein neues Argument. »Alles,
was er besaß, seine Briefe, seine Wäsche, der Führerschein, alles gehört Mr.
Taylor. Kennen Sie einen Taylor?«
Etwas
begann sich in Avery zu verkrampfen. Der Umschlag, was sollte er mit dem
Umschlag machen? Sollte er schnell auf die Toilette gehen und ihn vernichten,
ehe es zu spät war? Er bezweifelte, daß es funktionieren würde: der Umschlag
war aus hartem, glänzendem Papier. Selbst wenn er ihn zerriß - die Schnitzel
würden schwimmen und sich nicht hinunterspülen lassen. Es war ihm klar, daß
Peersen und Sutherland in der Erwartung einer Antwort auf ihn blickten, aber
das einzige, worauf er seine Gedanken konzentrieren konnte, war der Umschlag,
der plötzlich so schwer in seiner Brusttasche steckte. Schließlich brachte er
heraus. »Nein, kenne ich nicht. Mein Bruder und ich.« Stiefbruder oder
Halbbruder? »... mein Bruder und ich hatten nicht viel Kontakt miteinander. Er
war älter, wir sind eigentlich gar nicht miteinander aufgewachsen. Er arbeitete
mal hier, mal dort. Er konnte sich nie zu etwas Dauerhaftem entschließen.
Vielleicht war dieser Taylor ein Freund von ihm, der.« Avery zuckte mit den
Schultern und versuchte tapfer anzudeuten, daß Malherbe sogar für ihn eine
ziemlich geheimnisvolle Erscheinung gewesen sei.
»Wie alt sind Sie?« fragte
Peersen. Sein Respekt vor dem schmerzlichen Verlust des anderen schien im
Schwinden begriffen zu sein. »Zweiunddreißig.«
»Und Malherbe?« fragte er beiläufig.
»Um wieviele Jahre war er älter, bitte schön?« Sutherland und Peersen hatten
Malherbes Paß gesehen und wußten sein Alter. Man erinnert sich leicht an das
Alter von Leuten, die gerade gestorben sind. Nur Avery, sein Bruder, hatte
nicht die geringste Ahnung. »Zwölf«, sagte er auf gut Glück. »Mein Bruder war
vierundvierzig.« Warum hatte er sich so festgelegt? Peersen runzelte die
Brauen. »Nur vierundvierzig? Dann stimmt der Paß nicht.«
Peersen
wandte sich zu Sutherland, deutete mit seiner Zigarre auf die Tür am
entfernteren Ende des Raumes und sagte fröhlich, als habe er einen alten Streit
zwischen zwei Freunden beendet: »Jetzt sehen Sie, wieso ich ein Problem mit der
Identifizierung habe.«
Sutherland sah sehr erzürnt aus.
»Es wäre nett, wenn sich Mr. Avery die Leiche ansehen wollte«, schlug Peersen
vor, »dann könnten wir sicherer sein.«
Sutherland
sagte: »Inspektor Peersen. Die Identität des Mr. Malherbe geht aus seinem Paß
hervor. Das Auswärtige Amt in London hat mit Sicherheit festgestellt, daß der
Name Mr. Averys von Mr. Malherbe als der seines nächsten Verwandten angegeben
worden ist. Sie sagten mir, daß über die Umstände seines Todes keine Zweifel
bestünden. Es ist die übliche Verfahrensweise, daß Sie mir nun seine
persönlichen Effekten zu treuen Händen übergeben, damit ich sie bis zum
Abschluß der noch im Vereinigten Königreich durchzuführenden Formalitäten
aufbewahren kann. Es ist anzunehmen, daß sich Mr. Avery nun der Leiche seines
Bruders annehmen darf.« Peersen schien zu zögern. Er zog die restlichen Papiere
Taylors aus dem Stahlfach seines Schreibtisches und legte sie zu den anderen
Papieren, die bereits vor ihm aufgeschichtet waren. Dann sprach er einige
finnische Sätze ins Telefon. Nach kurzer Zeit brachte ein Polizist einen alten
Lederkoffer und eine Inventarliste herein, die Sutherland unterschrieb. Während
dieser Prozedur sprachen weder Avery noch Sutherland auch nur ein Wort mit dem
Inspektor. Peersen begleitete sie den ganzen Weg bis zum Haupteingang.
Sutherland bestand darauf, den Koffer und die Papiere selbst zu tragen. Sie
gingen zum Auto. Avery wartete darauf, daß Sutherland etwas sagte, aber er
schwieg. Die Fahrt dauerte ungefähr zehn Minuten. Die Stadt war nur spärlich
beleuchtet. Avery bemerkte, daß auf der Straße in zwei Fahrspuren
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