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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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Chemikalien
ausgestreut waren. Die Straßenmitte und die Rinnsteine waren mit Schnee
bedeckt. Die Straßenlampen verbreiteten ein kränkliches Neonlicht, das in der
sich verdichtenden Dunkelheit zu versickern schien. Da und dort erkannte Avery
steile Schindeldächer, das Kreischen einer Straßenbahn oder den hohen weißen
Helm eines Polizisten. Gelegentlich warf er einen verstohlenen Blick zurück
durch das Heckfenster.
     
    7. Kapitel
     
    Woodford
stand Pfeife rauchend im Flur und grinste dem Büropersonal zu, das gerade dabei
war, nach Hause zu gehen. Dies war für ihn die schönste Stunde des Tages. Bei
Arbeitsbeginn am Morgen war es anders, denn es war aus Tradition üblich, daß
untergeordnete Dienstgrade um halb zehn, die höheren aber zwischen zehn und
zehn Uhr fünfzehn in der Dienststelle erschienen. Die höchsten Beamten der
Organisation blieben theoretisch bis spät in die Nacht hinein, um ihre
Arbeiten in Ruhe erledigen zu können. Leclerc pflegte zu sagen, daß ein
Gentleman niemals auf die Uhr sah. Dieser Brauch stammte noch aus dem Krieg,
als die Offiziere die frühen Morgenstunden damit verbrachten, von
Aufklärungsflügen zurückgekehrte Piloten auszufragen, oder die späten
Abendstunden mit der Abfertigung eines Agenten. Damals hatten die untergeordneten
Dienstgrade in Schicht gearbeitet, während die Offiziere kamen und gingen, wie
es ihnen ihre Arbeit erlaubte. Jetzt erfüllte die Tradition einen anderen
Zweck. Denn nun gab es Tage, ja oft sogar Wochen, in denen Woodford und seine
Kollegen kaum wußten, wie sie ihre Zeit bis halb sechs Uhr ausfüllen sollten.
So ging es allen außer Haldane, auf dessen gebeugten Schultern der Ruhm der
Organisation, eine hervorragende Auswertungsabteilung zu haben, lastete. Die
anderen entwickelten Pläne, die nie in die Tat umgesetzt wurden, stritten
freundschaftlich über Urlaubs- und Dienstpläne oder die Qualität ihrer Büromöbel
und kümmerten sich mehr als nötig um die Sorgen der Mitglieder ihrer Abteilung.
    Berry, der
Beamte aus dem Kode-Zimmer, trat in den Korridor, bückte sich und steckte die
Fahrradklammern an seine Hose.
    »Wie geht's der Gattin, Berry?«
fragte Woodford. Ein Mann muß den Finger am Puls des Lebens halten. »Es geht
ihr gut, danke, Sir.« Er richtete sich auf und fuhr sich mit einem Kamm durchs Haar.
»Die Sache mit Wilf Taylor - schrecklich, Sir.«
    »Schrecklich, ja. Er war ein guter
Kamerad.«
    »Mr. Haldane wird das Archiv
selbst zusperren, Sir. Er hat noch lange dort zu tun.«
    »Hat er? -
Na ja, wir haben alle gerade sehr viel zu tun.«
    Berry
senkte die Stimme. »Und der Chef schläft heute im Büro, Sir. Eine ziemliche
Krise, wirklich. Er soll zum Minister gefahren sein. Man hat ihm ein Auto geschickt.«
    »Gute
Nacht, Berry.«
    Befriedigt dachte Woodford: Sie
hören einfach zu viel. Dann schlenderte er den Flur hinunter. Das Licht in
Haldanes Zimmer stammte von einer verstellbaren Leselampe. Sie warf ein
schmales Band grellen Lichtes auf die vor ihm liegenden Akte. »Immer noch an
der Arbeit?«
    Haldane
schob die eine Akte in den Korb mit der Aufschrift >Erledigt< und nahm
eine andere zur Hand. »Möchte wissen, wie es dem jungen Avery geht. Er wird
schon weiterkommen, der Junge. Ich höre, daß der Chef noch nicht zurück ist.
Muß eine lange Sitzung sein.«
    Er ließ sich in dem Ledersessel
nieder. Es war Haldanes eigener, den er aus seiner Wohnung hatte herüberbringen
lassen, um darin sitzen zu können, wenn er seine Kreuzworträtsel löste. »Woraus
schließen Sie das? Bei uns ist das kaum üblich«, sagte Haldane, ohne
aufzublicken. »Wie ist Clarkie mit Taylors Frau weitergekommen?« fragte
Woodford. »Wie hat sie es aufgenommen?« Haldane seufzte und legte die Akte
beiseite. »Er hat's ihr beigebracht. Mehr weiß ich auch nicht«, sagte er.
    »Du weißt
nicht, wie sie es aufgenommen hat? Hat er nichts davon erzählt?«
    Woodford
sprach immer etwas lauter, als nötig gewesen wäre, wie es die Art von Männern
ist, die sich stets gegen ihre Frau durchzusetzen versuchen müssen.
    »Ich habe
wirklich keine Ahnung. Soviel ich weiß, war er allein bei ihr. Leclerc behält
solche Sachen lieber für sich.«
    »Ich dachte, daß er vielleicht mit
dir.« Haldane schüttelte den Kopf. »Nur mit Avery«, murmelte er.
    »Ist eine
große Sache, das, nicht wahr, Adrian - oder könnte es sein?«
    »Könnte
sein. Wir werden schon sehen«, sagte Haldane sanft. Er war zu Woodford nicht
immer unfreundlich.
    »Gibt's
sonst was Neues an

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