Carre, John le
sich sechs Tage ohne
Verpflegung durchgeschlagen, hatte getötet, war versteckt und nach England
zurückgeschmuggelt worden. Er erzählte gut. Vielleicht war es nur seine
jetzige Vorstellung von den Kriegserlebnissen, vielleicht war es wahr. Aber
wie eine südländische Witwe, die vom Tod ihres Mannes berichtet, hatte auch
Leiser die Leidenschaft seines Herzens verloren und klammerte sich deshalb um
so stärker an die des Erzählens. Er schien nur zu reden, weil man ihn darum
gebeten hatte, wobei seine Geziertheit im Gegensatz zu der Leclercs weniger
dem Wunsche entsprang, andere zu beeindrucken, sondern mehr dem Bedürfnis,
sich selbst zu schützen. Er wirkte wie ein sehr verinnerlichter Mann, der sich
nur vorsichtig tastend ausdrückte, ein Mensch, der lange allein gewesen war,
ohne menschliche Beziehungen. Er schien ausgeglichen und doch nirgends
verwurzelt zu sein. Seine Aussprache war gut, aber eindeutig die eines
Ausländers, denn es fehlte ihm die gewisse Lässigkeit, das Verschlucken einzelner
Silben, das selbst begabte Imitatoren niemals völlig beherrschen. Er hatte
eine Stimme, die mit ihrer Umgebung vertraut, aber nicht in ihr zu Hause war.
Haldane
hörte höflich zu. Als Leiser fertig war, fragte er: »Wie ist man eigentlich das
erstemal auf Sie gekommen, wissen Sie das?« Sie waren sehr voneinander
entfernt.
»Sie haben's mir nie erzählt«,
sagte Leiser ausdruckslos, als sei es unpassend, nach so etwas zu fragen.
»Ohne Zweifel sind Sie der Mann, den wir brauchen«, bemerkte Haldane schließlich.
»Sie haben den deutschen Background, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie
kennen diese Leute, nicht wahr? Sie haben mit den Deutschen Erfahrung.«
»Nur aus dem Krieg«, sagte Leiser.
Dann sprachen sie über das Ausbildungslager. »Wie geht's diesem Dicken? George
Soundso. Kleiner, trauriger Kerl.«
»Oh - dem
geht's gut, danke.«
»Er
heiratete damals ein hübsches Mädchen.« Leiser lachte unanständig, während er
mit seinem rechten Arm das arabische Zeichen für sexuelle Tüchtigkeit machte.
»Allmächtiger«, sagte er, immer noch lachend, »wir kleinen Burschen! Sind doch
nicht zu schlagen.«
Es war ein
außerordentlicher Lapsus. Haldane schien darauf gewartet zu haben. Er
betrachtete ihn lange mit eisigem Gesicht, bis das Schweigen unüberhörbar
geworden war. Dann stand er bedächtig auf. Er schien plötzlich sehr verärgert
zu sein, verärgert über Leisers dummes Grinsen und diesen ganzen billigen,
unnützen Flirt, verärgert über diese sinnlos wiederholten Blasphemien und
diese gemeine Verhöhnung eines wertvollen Menschen.
»Würden
Sie es bitte unterlassen, so etwas zu sagen?
George
Smiley ist zufällig einer meiner Freunde.« Er winkte dem Ober, bezahlte und
stelzte schnell aus dem Restaurant, in dem Leiser verwirrt und allein zurückblieb,
mit einem White Lady elegant in der Hand und den Blick der braunen Augen
unruhig auf die Tür gerichtet, durch die Haldane so unvermittelt verschwunden
war.
Schließlich
ging auch er. Langsam schlenderte er über die Fußgängerbrücke durch die
Dunkelheit und den Regen, wobei er auf die Doppelreihe von Straßenlampen
hinunterstarrte, zwischen denen der Verkehr dahinbrauste. Dann sah er zu seiner
Garage hinüber, zu der Reihe erleuchteter Zapfsäulen und zu dem Turm, dessen
Spitze von einem Herzen aus abwechselnd grün und rot leuchtenden 60-Watt-Birnen
gekrönt war. Er betrat das hellerleuchtete Büro, sagte etwas zu dem Jungen und
stieg langsam die Treppe hinauf, der plärrenden Musik entgegen.
Haldane
wartete, bis er außer Sicht war, und eilte dann in das Restaurant zurück, um
sich ein Taxi rufen zu lassen.
Sie hatte den Plattenspieler
angestellt. Sie hörte der Tanzmusik zu, saß in seinem Stuhl und trank. »Gott,
kommst du spät«, sagte sie. »Ich bin am Verhungern.« Er küßte sie.
»Du hast
schon gegessen«, sagte sie. »Ich kann's riechen.«
»Nur 'ne Kleinigkeit, Bett. Ich
mußte. Es war ein Mann hier, mit dem ich einen Drink nehmen mußte.«
»Lügner.«
Er lächelte. »Laß doch, Betty. Wir
sind zum Abendessen verabredet, stimmt's?«
»Was für ein Mann?«
Die
Wohnung war sehr sauber. Vorhänge und Teppiche hatten Blumenmuster, und auf
allen polierten Flächen lagen Schondecken aus Spitze. Alles war geschont,
Vasen, Lampen, Aschenbecher, alles sorgsam gehütet, als erwarte sich Leiser von
der Natur nichts als nackte Vernichtung. Er hatte eine Vorliebe für einen
Hauch Antike, die sich im verschnörkelten Schnitzwerk der
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