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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
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Sie sah alt und müde
aus oder vielleicht, besser gesagt, weniger elastisch. Sie führte ihn in den
Salon und deutete resigniert auf einen Stuhl.
    Smiley bot
ihr eine Zigarette an und nahm selber eine. Sie stand am Fenster. Als er sie
ansah und ihren schnellen Atem und die fiebrigen Augen beobachtete, wurde ihm
klar, daß sie die Kraft zur Selbstverteidigung fast verloren hatte.
    Als er
sprach, war seine Stimme gütig und unaufdringlich. Elsa Fennan mußte sie wie
eine Stimme vorkommen, nach der sie sich gesehnt hatte. Eine unwiderstehliche
Stimme, die Kraft, Trost, Mitgefühl und Sicherheit verhieß. Langsam bewegte sie
sich vom Fenster weg, und ihre rechte Hand, die sie zuerst auf das
Fensterbrett gestützt hatte, rutschte, ohne daß sie es gewahr wurde, herunter
und fiel schließlich wie in einer Geste der Ergebung an ihre Seite. Sie nahm
ihm gegenüber Platz, und ihre Augen hingen in völliger Hingabe an ihm, wie die
Augen einer Liebenden.
    »Sie
müssen schrecklich einsam gewesen sein«, sagte er. »Niemand kann es auf die
Dauer alleine aushalten. Mut müssen wir auch haben, und es ist so unendlich
schwer, allein mutig zu sein. Das verstehen die Leute nie, nicht wahr? Sie
verstehen nie, was sie einen kosten, die gemeinen lügnerischen und betrügerischen
Kniffe, die Isolation von anständigen Menschen. Sie glauben, man kann dauernd
mit ihrem Treibstoff fahren - mit wehender Fahne und Musik. Aber wenn man
allein ist, braucht man einen anderen Treibstoff, nicht wahr? Man wird
gezwungen zu hassen, aber es braucht viel Kraft, ununterbrochen zu hassen. Und
was man lieben muß, ist so weit weg, so verschwommen, wenn man nicht daran
teilhat.« Er machte eine Pause. Gleich, dachte er, gleich wirst du Resonanz
finden. Er betete inbrünstig, daß sie auf ihn eingehen, seinen Trost
akzeptieren sollte. Gleich würde sie zusammenbrechen.
    »Ich habe
gesagt, daß uns nicht viel Zeit zur Verfügung steht. Ist Ihnen klar, was ich
meine?«
    Sie hatte
die Hände im Schoß gefaltet und sah auf sie herunter. Er sah die dunklen
Haarwurzeln ihres hellen Haares und konnte nicht verstehen, warum sie es
färbte. Kein Zeichen von ihr verriet, daß sie seine Frage gehört hatte.
    »Als ich
Sie damals an dem Morgen vor einem Monat verließ, fuhr ich nach London nach
Hause. Ein Mann versuchte, mich umzubringen. Am Abend desselben Tages gelang es
ihm um ein Haar - er hat mich drei- oder viermal auf den Kopf geschlagen. Ich
bin gerade aus dem Spital entlassen worden. Ich habe Glück gehabt. Dann ist da
der Garagenbesitzer, von dem er den Wagen gemietet hatte. Vor nicht allzulanger
Zeit hat die Wasserschutzpolizei seine Leiche aus der Themse gefischt. Zeichen
von Gewalt hat man nicht gefunden, er war nur voll Whisky. Man versteht es
nicht, denn seit Jahren war er nie in die Nähe des Flusses gekommen. Aber wir
haben es eben mit einem fachkundigen Mann zu tun, nicht wahr. Mit einem
erfahrenen Mörder. Es sieht so aus, als wolle er jeden beiseite schaffen, der
ihn in Verbindung mit Samuel Fennan bringen kann. Oder seiner Frau, natürlich.
Da ist dann weiter dieses blonde Mädchen aus dem Theater . . .«
    »Was sagen
Sie da?« flüsterte sie. »Was wollen Sie mir da einreden?«
    Smiley
fühlte plötzlich den Wunsch, ihr weh zu tun, um ihren letzten Willen zu
brechen, sie als Gegner völlig auszuschalten. Denn schon allzulange hatte sie
ihn, als er hilflos im Bett lag, wie ein Gespenst verfolgt, war ein Rätsel und
eine Drohung gewesen.
    »Was für
ein Spiel haben Sie eigentlich gespielt, Sie beide? Haben Sie gedacht, daß Sie
mit so einer Macht, wie die sie haben, flirten können, ein bißchen, aber nicht
alles geben können? Bilden Sie sich etwa ein, daß Sie den Tanz
beenden können - oder denen vielleicht so viel Macht einräumen, wie Ihnen
selbst paßt? Was für Hirngespinsten haben Sie eigentlich nachgejagt, Mrs.
Fennan, Träumen, denen Hand und Fuß gefehlt haben?«
    Sie
verbarg ihr Gesicht in beiden Händen, und er sah, wie ihr die Tränen zwischen
den Fingern herunterliefen. Sie schluchzte stoßweise, während ihr Körper
konvulsivisch zuckte, und ihre Worte kamen langsam und gepreßt.
    »Nein,
keine Träume. Ich hatte keinen Traum außer ihm. Ja er, er hatte einen Traum .
. . einen einzigen großen Traum.« Sie weinte wieder hilflos, und Smiley
wartete halb triumphierend, halb beschämt darauf, daß sie weitersprechen würde.
Plötzlich hob sie ihren Kopf und sah ihn an, während die Tränen ihr noch immer
über die Wangen liefen.

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