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Carre, John le

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Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
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fragte er mich geradeheraus, was ich von den Nazis
halte. Ich erklärte ziemlich deutlich, daß ich nicht geneigt sei, meine
Gastgeber zu kritisieren, und daß ich überhaupt der Ansicht sei, Politik wäre
keine besondere Freude. Seine Antwort werde ich nie vergessen. Er war außer
sich, erhob sich mühsam und schrie mir zu: >Von Freude ist nicht die
Rede!<« Smiley brach ab und sah über den Tisch hinüber Guillam an: »Tut mir
leid, Peter, ich bin wohl ziemlich langatmig.«
    »Aber
Unsinn, alter Junge. Du erzählst die Geschichte auf deine eigene Weise, und
damit basta.« Mendel brummte zustimmend. Er saß ziemlich steif da und hatte
beide Hände vor sich auf den Tisch gelegt. Außer der hellen Glut des Feuers war
jetzt kein Licht im Zimmer, und die Flammen warfen riesige Schatten auf die
grob verputzte Wand hinter ihnen. Die Karaffe mit dem Portwein war zu zwei
Dritteln geleert.
    Smiley
schenkte sich ein und fuhr fort: »Er ging wütend auf mich los. Er konnte nicht
verstehen, wie ich einerseits einen unabhängigen Maßstab an die Kunstkritik
legen und andererseits der Politik gegenüber gleichgültig sein konnte, wie ich
über die Freiheit der Kunst daherreden konnte, wenn ein Drittel Europas in
Ketten lag. Bedeutete es mir nichts, daß die Kultur der Gegenwart verblutete?
Was war so geheiligt am neunzehnten Jahrhundert, daß ich das zwanzigste
wegwerfen konnte? Er sei zu mir gekommen, weil ihm mein Seminar gefalle und er
mich für einen aufgeklärten Menschen gehalten habe, aber jetzt sei ihm klar
geworden, daß ich ärger sei als alle anderen.
    Ich ließ
ihn sich austoben. Was sonst hätte ich tun können? Er war ja auf jeden Fall
schon von Haus aus verdächtig. Ein rebellischer Jude mit einem Platz an der
Universität und rätselhafterweise noch immer auf freiem Fuß. Aber ich
beobachtete ihn. Das Semester war schon fast zu Ende, und die großen Ferien
standen vor der Tür. Bei der Semesterschluß-Diskussion, drei Tage später, war
er fürchterlich offenherzig. Er jagte den anderen direkt eine panische Angst
ein, so daß sie schwiegen und sich dachten, das könne nicht gut ausgehen. Nach
Semesterschluß verschwand Dieter, ohne mir Lebewohl zu sagen. Ich dachte nicht,
daß ich ihn jemals wiedersehen würde.
    Es dauerte
ungefähr sechs Monate, bevor er mir wieder begegnete. Ich hatte Freunde
besucht, in der Nähe von Dresden, wo Dieter zu Hause war, und kam eine halbe
Stunde zu früh auf den Bahnhof. Statt auf dem Bahnsteig herumzustehen, beschloß
ich, einen kleinen Bogen zu schlagen. Ein paar hundert Meter vom Bahnhof
entfernt stand ein großes, ziemlich häßliches altes Haus. Vorne war ein kleiner
Vorhof mit hohen Eisengittern und einem schmiedeeisernen Tor. Man hatte es
offenbar als behelfsmäßiges Gefängnis hergerichtet. Eine Gruppe von geschorenen
Gefangenen, Männern und Frauen, wurde in dem Hof im Kreis zu ihrem Spaziergang
herumgetrieben. In der Mitte des Kreises standen zwei Wächter mit
Maschinenpistolen. Eine bekannte Gestalt, größer als die anderen, die hinkte
und Mühe hatte, mit ihnen mitzukommen, fiel mir ins Auge. Es war Dieter. Sie
hatten ihm den Stock weggenommen.
    Als ich
später darüber nachdachte, wurde mir klar, daß die Gestapo den populärsten
Studenten der Universität natürlich nicht verhaftet hatte, solange das
Semester lief. Ich ließ meinen Zug Zug sein, ging in die Stadt zurück und
suchte seine Eltern im Telefonbuch. Ich wußte, daß sein Vater Arzt war, das
war also nicht schwer. Ich suchte die Adresse auf, fand aber nur seine Mutter
vor. Sein Vater war bereits im Konzentrationslager zugrunde gegangen. Sie
lehnte es ab, über Dieter zu sprechen, aber es schien, als ob er nicht in ein
Gefängnis für Juden, sondern in ein gewöhnliches gekommen wäre, und offenbar
nur für eine gewisse >Korrektionszeit<. Sie glaubte, daß er in etwa drei
Monaten wiederkommen würde. Ich trug ihr auf, ihm zu sagen, daß ich noch ein
paar Bücher von ihm hätte, die ich zurückgeben würde, wenn er mich besuchen
wolle.
    Ich
fürchte, daß mich die Ereignisse des Jahres 1939 sehr in Anspruch nahmen, so
daß ich nicht glaube, Dieter in diesem Jahr noch einen weiteren Gedanken
geschenkt zu haben. Bald nachdem ich von Dresden zurückgekommen war, beorderte
mich das Department nach England zurück. Ich packte und reiste innerhalb von
achtundvierzig Stunden ab. In London war die Hölle los. Man gab mir einen neuen
Auftrag, der genaue Vorbereitung, intensives Studium und Training erforderte.
Ich

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