Carre, John le
Kniffe beim Telefonieren. Keine
Adresse«, wiederholte sie mit unnatürlicher Betonung, so daß Smiley sie
mißtrauisch ansah. Plötzlich kam ihm die Erinnerung an Dieters Geschicklichkeit
bei der Schaffung von Verständigungsmöglichkeiten.
»Freitag
hat Sie an dem Abend, an dem Fennan gestorben ist, nicht getroffen. Das stimmt
doch. Er ist im Theater nicht erschienen.«
»Nein.«
»Das war
das erste Mal, daß er nicht gekommen ist, nicht wahr? Sie haben eine panische
Angst bekommen und sind früher weg.«
»Nein ...
ja ja, ich hatte eine panische Angst.«
»Nein,
eben nicht! Sie sind früher weg, weil Sie mußten. So war es nämlich besprochen.
Warum mußten Sie früher gehen? Aus welchem Grunde?«
Sie
verbarg ihr Gesicht in den Händen.
»Kommen
Sie zu sich!« schrie Smiley. »Glauben Sie noch immer, die Situation im Griff zu
haben, die Sie geschaffen haben? Freitag wird Sie ermorden, das Mädchen
ermorden, morden, morden, morden. Wen wollen Sie schützen, das Mädchen oder
einen Mörder?«
Sie weinte
und gab keine Antwort. Smiley neigte sich über sie. Er schrie noch immer.
»Ich werde
Ihnen gleich sagen, warum Sie früher weggegangen sind. Ich will Ihnen verraten,
was ich mir denke. Deshalb, weil Sie noch die letzte Post in Weybridge
erwischen wollten. Er war nicht gekommen, Sie hatten die Garderobenzettel
nicht austauschen können, nicht wahr, deshalb sind Sie den Instruktionen
gefolgt und haben ihm Ihren Schein mit der Post geschickt. Sie haben eben doch
eine Adresse, nicht aufgeschrieben, aber auswendig gelernt, und zwar auf ewige
Zeiten auswendig gelernt: >Wenn irgend etwas schiefgeht, wenn ich nicht
komme, dann ist das die Adresse.« Hat er das nicht gesagt? Eine Adresse, von
der man nie sprechen durfte, die normalerweise nie benützt werden sollte, eine
Adresse, die man vergessen sollte und doch eisern im Gedächtnis behalten.
Stimmt das? Reden Sie!«
Sie erhob
sich, wendete ihren Blick von ihm, ging zum Schreibtisch und nahm ein Stück
Papier und einen Bleistift. Sie weinte heftig. Quälend langsam schrieb sie die
Adresse. Ihre Hand stockte und hielt zwischen den einzelnen Worten fast still.
Er nahm
ihr den Zettel aus der Hand, faltete ihn in der Mitte zusammen und legte ihn in
seine Brieftasche.
Jetzt
konnte er ihr Tee machen.
Sie sah
aus wie ein Kind, das man aus der See gerettet hatte. Sie saß auf der Kante
des Sofas, hielt die Teetasse fest zwischen ihren zarten Händen und drückte sie
gegen ihren Körper. Ihre mageren Schultern waren nach vorne gesunken, die
Beine und Fußknöchel hatte sie fest zusammengepreßt. Smiley sah sie an und
verstand, daß er etwas in ihr zerbrochen hatte, das er nie hätte berühren
dürfen, weil es so zerbrechlich war. Er kam sich wie ein gemeiner, grober
Klotz vor, und daß er ihr Tee gemacht hatte, schien ihm nur ein nichtiger,
vergeblicher Versuch zu sein, seine täppische Roheit wiedergutzumachen.
Er wußte
nicht, was er ihr sagen sollte. Nach einer Weile meinte sie: »Er hat Sie
gemocht. Wirklich, er konnte Sie gut leiden ... er hat gesagt, Sie sind ein
gescheiter kleiner Mann. Es war ziemlich selten, daß Samuel jemanden gescheit
nannte.« Sie schüttelte langsam den Kopf. Vielleicht war es die Erinnerung, daß
sie lächelte: »Er hat immer gesagt, es gibt zweierlei Kräfte in der Welt, die
positiven und die negativen. >Was soll ich also tun<, hat er mich immer
gefragt, »zusehen, wie sie ihre eigene Ernte vernichten, nur deshalb, weil sie
mir Brot geben? Produktivität, Fortschritt, Macht und die ganze Zukunft der
Menschheit warten an ihrer Tür. Soll ich sie nicht hereinlassen?« Und ich habe
ihm gesagt: »Aber, Samuel, vielleicht sind die Leute ganz glücklich ohne das
alles.« Aber, verstehen Sie, er hat nicht so gedacht über die Menschen.
Aber ich
konnte ihn nicht stoppen. Wissen Sie, was das Merkwürdigste an Fennan war?
Trotz allem Nachdenken und Reden war er schon vor langer Zeit zu dem Entschluß
gekommen, was er tun würde. Alles übrige war Poesie. Er war nicht eingeordnet,
das habe ich ihm immer gesagt. . .«
». . . und
doch haben Sie ihm geholfen«, sagte Smiley.
»Ja, ich
habe ihm geholfen. Er hat Hilfe gebraucht, und ich habe ihm geholfen. Er war
mein Leben.«
»Ja.«
»Das war
ein Fehler. Er war wie ein kleiner Junge, verstehen Sie? Wie ein Kind hat er
immer alles vergessen. Und so unrealistisch. Er hatte den Entschluß gefaßt, es
zu tun, und er hat es so schlecht getan. Er hat nicht so darüber gedacht wie
Sie oder ich. So
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