Carre, John le
Düsseldorf. Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer - Mendel war
nicht da. Dann erblickte er ihn durch das Fenster im Garten, wie er, seinen
Gartenhut auf dem Kopf, wütend mit einer Axt auf einen Baumstrunk im Vorgarten
loshackte. Smiley beobachtete ihn einen Moment und ging dann in sein Zimmer
hinauf, um sich wieder hinzulegen. Gerade, als er die obersten Stufen erreicht
hatte, läutete das Telefon wieder.
»George?
Tut mir leid, daß ich Sie wieder stören muß. Es ist wegen Mundt.«
»Ja?«
»Er ist
gestern abend mit der BEA nach Berlin geflogen. Zwar unter einem anderen
Namen, aber die Stewardeß erkannte ihn ohne Schwierigkeit. Das war's also.
Pech, alter Freund.«
Smiley
drückte die Gabel einen Augenblick mit der Hand nieder und wählte dann
Walliston 2944. Er konnte hören, wie es am anderen Ende der Leitung klingelte.
Plötzlich hörte es auf, und er hörte Elsa Fennans Stimme: »Hallo . . . Hallo .
. . Hallo, ja, was ist denn?«
Leise
legte er den Hörer wieder auf. Sie lebte.
Warum in
aller Welt gerade jetzt? Warum reiste Mundt ausgerechnet jetzt ab, fünf Wochen,
nachdem er Fennan umgebracht, drei Wochen, nachdem er Scarr liquidiert hatte.
Warum hatte er die geringere Gefahr, nämlich Scarr, eliminiert und Elsa Fennan
unbehelligt gelassen, die in ihrer neurotischen Verbitterung jeden Augenblick
bereit sein konnte, ihre eigene Sicherheit außer acht zu lassen und die ganze
Geschichte zu erzählen? Welche Wirkung konnte diese schreckliche Nacht nicht
auf sie gehabt haben? Wie konnte Dieter einer Frau vertrauen, die jetzt nur so
lose an ihn gebunden war? Der gute Ruf ihres Mannes konnte nicht mehr gerettet
werden. Bestand nicht die Gefahr, daß sie, in weiß Gott was für einem Anfall
von Rachsucht oder Reue, mit der ganzen Wahrheit herausplatzte? Sicher,
zwischen dem Mord an Fennan und dem an seiner Frau mußte man eine gewisse Zeit
verstreichen lassen, aber welches Ereignis oder welche Nachricht, welche
Gefahr war der Anlaß zu Mundts Abreise gestern abend? Ein skrupelloser und
genau ausgearbeiteter Plan zur Bewahrung des Geheimnisses von Fennans Verrat
war jetzt offenbar verworfen und unausgeführt gelassen worden. Was war gestern
geschehen, wovon Mundt Kenntnis bekommen haben konnte? Oder war der Zeitpunkt
seiner Abreise einem Zufall zuzuschreiben? Smiley weigerte sich, das zu
glauben. Wenn Mundt nach den zwei Morden und dem Attentat auf Smiley in England
blieb, so war das nicht freiwillig geschehen. Er hatte auf irgendeine Gelegenheit
oder ein Ereignis gewartet, das ihm die Möglichkeit gab, zu verschwinden. Er
war sicher nicht einen Augenblick länger als notwendig geblieben. Aber was
hatte er seit Scarrs Tod getan? Hatte er sich in irgendeinem einsamen Zimmer
versteckt, verkrochen, ohne Licht und ohne Verbindungen? Und warum war er dann
so plötzlich abgeflogen?
Und Fennan
wieder - was für ein merkwürdiger Spion war das, der wertlose Nichtigkeiten für
seine Auftraggeber aussuchte, während er die kostbarsten Juwelen in Reichweite
hatte und nur hätte zugreifen müssen? Eine Gesinnungsänderung vielleicht? Warum
hat er es dann nicht seiner Frau gesagt, für die sein Verbrechen ein ewiger
Alptraum war und die über seine Bekehrung gejubelt hätte? Es sah so aus, als
hätte Fennan nie vorzügliches Geheimmaterial ausgesucht, als hätte er einfach
das mit nach Hause genommen, an dem er gerade arbeitete. Ein Nachlassen im
Eifer würde die merkwürdige Einladung zu Marlow und Dieters Überzeugung, daß
Fennan ihn betrog, erklären können. Und wer hatte den anonymen Brief
geschrieben?
Nichts
paßte zusammen, rein gar nichts. Auch Fennan selbst war voller Widersprüche.
Ein so prächtiger, intelligenter und anziehender Mensch er auch war, hatte er
völlig ungezwungen und geschickt Verrat begangen. Smiley hatte ihn wirklich gut
leiden können. Warum hatte dieser erfahrene Verräter den unglaublichen Fehler
begangen, Dieters Namen in sein Notizbuch zu schreiben, warum hatte er so wenig
Verstand oder Interesse bei der Auswahl des Materials gezeigt?
Smiley ging
hinauf, um die verschiedenen Kleinigkeiten, die Mendel ihm aus der Bywater
Street geholt hatte, einzupacken. Es war alles aus.
Die Figurengruppe aus Meißener
Porzellan
Er stand
an der Tür, stellte seinen kleinen Koffer hin und tastete nach den Schlüsseln.
Als er die Tür aufmachte, erinnerte er sich daran, wie Mundt dort gestanden
war und ihn mit seinen fahlblauen Augen fest und abschätzend angesehen hatte.
Es war merkwürdig, sich
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