Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schatten von gestern (Smiley Bd 1)
Vom Netzwerk:
atemlose,
schluchzende Erklärung hören, warum Fennan mit Smiley im Park gewesen war, und Mundt
vor sich sehen, der ungerührt auf sie einredete, ihr die Gründe
auseinandersetzte und sie endlich dazu bewog, gegen ihren Willen noch einmal an
diesem schrecklichsten und unsinnigsten aller Verbrechen teilzuhaben. Wie er
sie zum Telefon schleppte und zwang, das Theater anzurufen, und sie schließlich
zermartert und erschöpft zurückließ. Mit den unausweichlichen Nachforschungen
mochte sie selber fertig werden. Ja sogar den Abschiedsbrief über Fennans
Unterschrift hatte er sie zu schreiben gezwungen. Es war über alle Maßen
unmenschlich und, dachte er weiter, für Mundt ein ungeheueres Risiko.
    Sie hatte
sich natürlich andererseits in der Vergangenheit als eine äußerst verläßliche
Komplizin erwiesen, die einen kühlen Kopf hatte und ironischerweise in der
Technik der Spionage geschickter war als Fennan. Und ihre Leistung bei ihrem
ersten Zusammentreffen mit ihm war für eine Frau, die in dieser Nacht so viel
Schreckliches durchgemacht hatte, einfach ein Wunder.
    Als er so
die kleine Schäferin betrachtete, die in unveränderlich schwebender Pose
zwischen ihren beiden Bewunderern stand, kam ihm ganz leidenschaftslos der
Gedanke, daß es noch eine zweite, ganz andersgeartete Lösung für den Fall
Fennan gab. Eine Lösung, die bis ins Detail zu allen Umständen paßte und die
irritierenden, scheinbaren Widersprüche in Fennans Charakter zum Verschwinden
brachte. Es begann als rein akademische Denkübung, die Personen nicht in
Betracht zog. Smiley schob die einzelnen Charaktere wie die Teile eines
Zusammenlegspiels hin und her und drehte sie bald in der einen, bald in der
anderen Richtung, um zu versuchen, wie sie zu dem schon fertigen Stück der
erhärteten Tatsachen paßten - und dann, ganz plötzlich, fügte sich alles
zusammen, und zwar so genau, daß ihm klar wurde, daß es jetzt nicht mehr nur
ein Spiel mit Gedanken war.
    Sein Herz
schlug schneller, als Smiley sich die ganze Geschichte noch einmal aufbaute,
Szenen und Ereignisse im Lichte seiner Entdeckung rekonstruierte. Jetzt wußte
er, warum Mundt England heute verlassen hatte, warum Fennan so wenig gebracht
hatte, das für Dieter von Wert war, den Anruf um halb neun bestellt hatte und
warum seine Frau der systematischen, wilden Mordorgie Mundts entgangen war.
Jetzt wußte er endlich auch, wer den anonymen Brief geschrieben hatte. Er
erkannte nun, daß er sich von seinen Gefühlen hatte zum Narren halten lassen,
mit seinem Verstand ein falsches Spiel getrieben hatte.
    Er ging
zum Telefon und wählte Mendels Nummer. Gleich nachdem er mit ihm gesprochen
hatte, rief er Peter Guillam an. Dann nahm er Hut und Mantel und ging um die
Ecke auf den Sloane Square. Bei einem kleinen Zeitungsstand kaufte er eine
Ansichtskarte, die die Westminster Abbey darstellte, ging zur U-Bahn und fuhr
nach dem Norden, wo er in Highgate ausstieg. Auf dem Hauptpostamt dort kaufte
er eine Marke und adressierte die Karte in steifen, unenglischen Buchstaben an
Elsa Fennan. Auf den Platz für den Text schrieb er in spitzen Buchstaben: »Ich
wünschte, Du wärest hier!« Er gab die Karte auf, notierte sich die Zeit und
fuhr zum Sloane Square zurück. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun.
     
    In dieser
Nacht schlief er fest, stand am folgenden Morgen zeitig auf - es war ein
Samstag -, ging um die Ecke und kaufte frische Brötchen und Kaffee. Er machte
sich eine große Portion Kaffee, setzte sich mit der >Times< in die Küche
und verzehrte sein Frühstück. Er fühlte sich merkwürdig ruhig, und als endlich
das Telefon läutete, faltete er seine Zeitung sorgfältig zusammen, bevor er
hinaufging, um den Hörer abzuheben.
    »George,
ich bin's, Peter.« Die Stimme klang dringlich, fast triumphierend. »George,
sie hat angebissen, da schwöre ich drauf!«
    »Was ist
passiert?«
    »Genau um
8 Uhr 55 war der Briefträger da. Um 9 Uhr 30 ist sie eilig den Weg vom Haus
heruntergekommen, gestiefelt und gespornt. Sie ist direkt zur Bahnstation
gegangen und mit dem Zug um 9 Uhr 5 z zur Victoria-Station gefahren. Ich habe
Mendel in den Zug gesetzt und bin mit dem Wagen nachgefahren, aber ich war zu
spät dran, um den Zug einzuholen.«
    »Wie
werden Sie sich denn mit Mendel wieder in Verbindung setzen?«
    »Ich habe
ihm die Nummer von dem Hotel in Grosvenor gegeben, wo ich jetzt bin. Er wird
mich sofort anrufen, sobald er dazu Gelegenheit hat, und dann werde ich dorthin
kommen, wo er

Weitere Kostenlose Bücher