Carre, John le
vorzustellen, daß Mundt Dieters Schüler war. Mundt war
mit der Unerbittlichkeit eines abgerichteten, gedungenen Söldners vorgegangen
- schlagkräftig, zweckmäßig und stur. An seiner Technik war nichts
Originelles, in allem war er ein Schatten seines Meisters gewesen. Es kam ihm
vor, als wären Dieters brillante und einfallsreiche Methoden in ein Handbuch
zusammengefaßt worden, das Mundt auswendig gelernt und dem er nur das Salz
seiner eigenen Brutalität hinzugefügt hatte.
Smiley
hatte absichtlich keine Adresse für das Nachsenden seiner Post angegeben, und
daher lagen ganze Haufen von Briefen auf der Abstreifmatte. Er legte sie auf
den Tisch im Vorzimmer und begann mit einem verlorenen Lächeln die Türen zu
öffnen und sich umzusehen. Das Haus war ihm fremd. Er fand es kalt und muffig.
Als er langsam durch die Zimmer schritt, dämmerte ihm zum erstenmal auf, wie
leer sein Leben geworden war.
Er sah
sich nach Streichhölzern um, weil er den Gaskamin anzünden wollte, aber er fand
keine.
Er setzte
sich in einen Lehnsessel im Wohnzimmer, und seine Augen wanderten über die
Bücherregale und die verschiedenen Sachen, die er auf seinen Reisen gesammelt
hatte. Als Ann ihn verließ, hatte er unbarmherzig alle ihre Spuren getilgt.
Sogar ihrer Bücher hatte er sich entledigt. Aber nach und nach waren die
wenigen symbolischen Dinge, die sein Leben mit dem ihren verknüpft hatten,
wieder zu Ehren gekommen. Hochzeitsgeschenke von engen Freunden, die zuviel
bedeutet hatten, als daß man sie hätte weggeben können. Da war eine Skizze von
Watteau, ein Geschenk von Peter Guillam, eine Figurengruppe aus Meißener
Porzellan von Steed-Asprey.
Er erhob
sich aus dem Stuhl und ging hinüber zu dem Eckschrank, wo die Gruppe stand. Er
liebte es, die Schönheit dieser Figuren zu bewundern, die kleine Kurtisane im
Schäferkostüm, die die Arme nach einem verliebten Bewunderer ausgestreckt
hatte, während ihr kleines Gesicht einem anderen zulächelte. Vor dieser
zerbrechlichen Vollkommenheit kam er sich so unzulänglich vor wie einst vor
Ann, als er damals die Eroberung begann, die die Gesellschaft in Erstaunen
gesetzt hatte. Irgendwie trösteten ihn diese kleinen Figuren. Es war ebenso
hoffnungslos, von Ann Treue zu erwarten, wie von dieser kleinen Schäferin
unter ihrem Glassturz. Steed-Asprey hatte die Gruppe vor dem Krieg in Dresden
gekauft, sie war das Glanzstück seiner Sammlung gewesen, und er hatte sie ihnen
geschenkt. Vielleicht hatte er vorausgeahnt, daß Smiley eines Tages für die
einfache Weisheit Bedarf haben könnte, die sie dem Betrachter suggerierte.
Dresden!
Das war von allen deutschen Städten Smileys Lieblingsstadt. Er liebte ihre
Architektur, das merkwürdige Durcheinander von mittelalterlichen und
klassischen Bauten, die manchmal an Oxford mit seinen Kuppeln, Türmen und
Spitzen erinnerten, und seine grünen Kupferdächer, die in der heißen Sonne
flimmerten. Der Name bedeutete »Stadt der Waldbewohner«, dort hatte Wenzel von
Böhmen die fahrenden Sänger mit Geschenken und Privilegien ausgezeichnet.
Smiley erinnerte sich daran, wie er das letztemal dort gewesen war und einen
Bekannten von der Universität, einen Professor der Philologie, besucht hatte,
mit dem er in England zusammengekommen war. Auf dieser Reise hatte er damals
Dieter gesehen, wie er sich im Gefängnishof im Kreis herumschleppte. Er konnte
ihn noch immer vor sich sehen; groß und verbissen und durch den geschorenen
Schädel grotesk verändert, schien er irgendwie zu groß für das kleine
Gefängnis zu sein. Dresden, fiel ihm ein, war übrigens auch Elsas Geburtsort
gewesen, wie er festgestellt hatte, als er ihren Akt im Ministerium
durchgesehen hatte: Elsa, Mädchenname Freimann, geboren 1917 in Dresden,
Deutschland, Kind deutscher Eltern; in Dresden erzogen; 1938 bis 1945 im KZ.
Er versuchte, sie vor dem Hintergrund ihres Elternhauses zu sehen, sich die
jüdische Patrizierfamilie vorzustellen, die unter Drangsalen und Verfolgungen
zugrunde ging. >Ich habe von langem goldenem Haar geträumt, und sie haben
mir den Kopf geschoren.< Angeekelt verstand er völlig, warum sie sich das
Haar färbte. Sie hätte sein können wie diese kleine Schäferin, hochbusig und
hübsch. Aber ihren Körper hatte Hunger zerstört, so daß er jetzt gebrechlich
und häßlich war wie der eines kleinen Vogels.
Er konnte
sie sich in der furchtbaren Nacht vorstellen, wie sie den Mörder ihres Mannes
neben der Leiche stehend angetroffen hatte, konnte im Geiste ihre
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