Carre, John le
gesagt, das heißt, kein Mensch weiß, wo er
ist.«
»Was ist
mit seiner Post?«
»Hat nie
welche bekommen, außer Rechnungen. Auch das kleine Nest des Genossen Mundt habe
ich mir angesehen. Zwei Zimmer über der Stahl-Mission. Die Möbel und der ganze
Mist sind weg. Schade.«
»Na ja.«
»Aber
etwas Komisches muß ich Ihnen erzählen, George. Sie erinnern sich doch, daß ich
vorhatte, mir Fennans Sachen, die er bei sich trug - Brieftasche, Notizbuch und
so weiter - kommen zu lassen. Von der Polizei.«
»Ja.«
»Also, das
habe ich getan. In seinem Notizbuch steht Dieters voller Name im
Adressenverzeichnis und die Telefonnummer der Mission daneben. Verdammte
Frechheit, was?«
»Das ist
noch viel mehr, das ist ja Irrsinn. Du lieber Himmel!«
»Und dann
steht da unter dem Datum vom 4. Januar: >G. A. Smiley, Anruf halb neun.<
Das wird durch eine Eintragung für den 3. Januar bestätigt, in der es heißt:
>Anruf bestellen für Mittwoch morgen<.«
»Also noch
immer keine Erklärung.« Es entstand eine Pause.
»Ja,
übrigens, George. Ich habe Felix Taverner in das Außenamt geschickt, damit er
ein bißchen herumschnüffelt. Einerseits ist es ärger, als wir befürchtet
haben, andererseits wieder besser.«
»Wieso?«
»Ja, also
Taverner hat sich die Registraturzettel der letzten beiden Jahre durchgesehen.
Er konnte feststellen, welche Akten in Fennans Abteilung gegangen sind. Wenn
ein Akt von einer Abteilung bestellt wird, haben sie vorgedruckte Bestellzettel
auszufüllen.«
»Ja, ich
höre.«
»Felix hat
herausgefunden, daß Freitag nachmittag gewöhnlich drei oder vier Akten an
Fennan ausgefolgt wurden, die dann am Montag vormittag zurückkamen. Man kann
annehmen, daß er sie sich über das Wochenende nach Hause genommen hat.«
»Du heiliger
Strohsack!«
»Aber das
Komische dabei ist, George, daß er seit sechs Monaten, also genau seit er
befördert worden ist, eher die Tendenz hatte, Sachen mitzunehmen, die nicht
geheim waren und die eigentlich keinen Menschen interessieren konnten.«
»Aber
gerade während der letzten Monate hatte er doch in der Hauptsache mit
Geheimakten zu tun«, sagte Smiley. »Er hätte nach Hause nehmen können, was ihm
paßte.«
»Ich weiß
schon, aber er hat es nicht getan. Ich würde fast sagen, daß es mit Absicht
geschehen ist. Er hat ganz unwichtige Sachen mitgenommen, die nur mit seiner
routinemäßigen Arbeit zu tun hatten. Seine Kollegen können es nicht verstehen,
jetzt, wenn sie darüber nachdenken. Er hat sogar Akten mitgenommen, die gar
nicht zu seinem Arbeitsgebiet gehörten.«
»Auch
nicht geheim?«
»Nein -
völlig wertlos für die Spionage.«
»Wie war
es denn früher, bevor er in die neue Stellung gekommen ist? Was hat er damals
nach Hause genommen?«
»Viel
mehr, als man glauben sollte - Akten, die er während des Tages bearbeitet
hatte, Politik und so weiter.«
»Geheim?«
»Einige
ja, einige nein. Wie sie gekommen sind.«
»Aber doch
hoffentlich nichts Unvorhergesehenes - keine besonders delikaten
Angelegenheiten, die ihn nichts angingen?«
»Nein. Gar
nichts. Er hatte massenhaft Gelegenheit, ganz offen gesagt, hat sie aber nicht
benutzt. Irrsinnig, finde ich.«
»Na ja,
das mußte er ja sein, wenn er den Namen seines Verbindungsmannes in sein
Notizbuch geschrieben hat.«
»Und
darauf können Sie sich Ihren eigenen Reim machen: Er hatte sich den Vierten im
Außenministerium frei genommen - das war also der Tag, der auf seinen
Sterbetag folgte. Anscheinend eine ziemliche Sensation. Sonst hat er die Arbeit
direkt gefressen, sagen die Kollegen.«
»Was
unternimmt denn Maston in dieser ganzen Sache?« fragte Smiley nach einer Pause.
»Im
Augenblick geht er die Akten durch und kommt alle zwei Minuten mit blöden
Fragen zu mir. Ich glaube, er fühlt sich einsam da drin in seinem Zimmer bei
all den harten Tatsachen.«
»Ach, er
wird sie schon unterdrücken, Peter, da brauchen Sie keine Angst zu haben.«
»Ja, er
sagt jetzt schon, daß die ganze Anklage gegen Fennan auf der Zeugenaussage
einer neurotischen Frau basiert.«
»Danke,
daß Sie angerufen haben, Peter.«
»Werde Sie
bald besuchen, alter Junge. Schonen Sie Ihren Kopf.«
Smiley
legte den Hörer auf und wunderte sich, wo Mendel blieb. Auf dem Tisch in der
Halle lag eine Abendzeitung. Er warf einen flüchtigen Blick auf die
Schlagzeile: »Antisemitische Ausschreitungen. Proteste der Juden aus aller
Welt«, und darunter der Bericht über Ausschreitungen gegen einen jüdischen
Geschäftsinhaber in
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