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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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leid.
    Anne stand unruhig auf und stieß geräuschvoll ihren Stuhl nach hinten. »Leo war ein Überzeugungstäter«, sagte sie mit brüchiger Stimme. Das entschuldigte nichts, erklärte aber vieles. »Auf Geld kam es ihm nicht an.«
    Davon hatte der Kerl ja offenbar genug, dachte Paul und sah sie verwundert an.
    »Stimmt«, sagte Kosinski. Er hatte, sah Paul, seine Hand auf Renas Hand gelegt. Wie um sie zu beruhigen. »Er machte das alles freiwillig und aus tiefster innerer Überzeugung. Um Ellen tat es ihm übrigens durchaus leid, wie man einem Bericht seines Führungsoffiziers entnehmen kann. Daß er sie trotzdem verriet, hielt das MfS für besonders honorig.«
    »In seinen Augen beging sie Verrat an der einzig wahren Sache – der Sache des Sozialismus. Wenn er über sie nicht berichtet hätte, hätte er sich kleinbürgerlichen Subjektivismus vorwerfen müssen«, sagte Anne. Wieder mit dieser trockenen, brüchigen Stimme.
    »Anne –«, sagte Paul, aber die erhobene Hand des Inspektors brachte ihn zum Schweigen.
    »Frau Burau«, fragte Kosinski leise. »Warum verteidigen Sie ihn eigentlich?«
    »Ich?« Sie wollte ihn empört anfauchen. Aber auf Pauls Gesicht sah sie den gleichen Vorwurf – zusammen mit Ratlosigkeit. Anne hielt erschrocken inne. Hatten die beiden womöglich recht? Sie hatte ja sogar Ellen Leinemann verdrängt. Weil sie noch immer glaubte, hinter ihrem Mann stehen zu müssen? Wie es Alexander gefordert hatte? Von Rena?
    Rena begann zu schluchzen. Ein verzweifeltes, müdes Weinen, das Anne, die unruhig hin und her gegangen war, sofort an ihre Seite brachte. Aber auch sie ließ sich vom warnenden Blick Kosinskis einschüchtern, mit dem er sie auf Distanz hielt. Respekt, dachte Bremer. Das ist verdammt geschickt. Aber selbst ihm dämmerte erst später, wie raffiniert der Landinspektor wirklich auf diesen Punkt hingesteuert hatte.
    »Muß man seinen Mann verteidigen, was immer auch geschieht?« fragte Kosinski väterlich und drückte Renas Hand, die sie ihm, wie Anne mit leichter Eifersucht bemerkte, noch immer völlig ohne Gegenwehr überließ. Rena antwortete mit einem womöglich noch verzweifelteren Tränenausbruch.
    »Wann bist du dahintergekommen? Letzte Woche?«
    Rena nickte. »Ich hätte ihn doch nie verraten können«, flüsterte sie tränenerstickt.
    Paul Bremer begriff nichts. Anne ahnte es. Und Kosinski, dachte sie, wußte viel zuviel.
    Am Dienstag abend, nur Stunden vor dem Brand auf dem Weiherhof, hatte Rena lange mit Alexander zusammengesessen, auf ihrem Lieblingsplatz in der Reithalle, mitten im warmen Dunst aus Sägemehl und Pferdeleibern. »Wir haben über alles mögliche geredet – was wir mal werden wollen. Alexander wollte Chirurg werden.« Ausgerechnet! Bremer schnaubte und handelte sich einen warnenden Blick von Kosinski ein.
    »Oder Archäologe.«
    Rena träumte davon, Schriftstellerin zu werden. Alexander war der einzige, dem sie das jemals gestanden hatte. Sie hatte ihm sogar mal was zu lesen gegeben. Eine Kurzgeschichte, in der eine kluge, aber häßliche Anwältin einen großen Prozeß gegen einen unbarmherzigen Gegner gewann.
    »Um elf ist er gegangen.«
    Als sie sich verabschiedeten, stand der fast volle Mond klein und hell im Zenit inmitten jagender Wolkenfetzen und beleuchtete den Hof zwischen Reithalle und kleinem Pferdestall. »Schriek« machte leise die Lampe, die an zwei Seilen zwischen den beiden Gebäuden hing und sich im Wind bewegte. Schriek. Rena war ins Bett gegangen und hatte lange wach gelegen, hellwach, der Vollmond zeichnete die Schatten der alten Birke auf ihre Schlafdecke. Was sie dazu brachte, wieder aus dem Bett zu springen, sich anzuziehen und zum Stall zu laufen, konnte sie nicht sagen.
    »Es war so ein Gefühl «, sagte sie gequält, »so ein Gefühl eben.«
    Erst hatte sie in die Reithalle und den großen Stall geschaut. Dort war alles ruhig. Dann hatte sie leise die Tür geöffnet, um über den Platz zum kleinen Stall zu gehen, wo die Ponies standen, der Ziegenbock, das Schwein. Der Mondschein beleuchtete die schlanke Gestalt des Jungen von hinten, aber Rena war sich sicher, wen sie da sah.
    »Ich dachte: Warum ist er noch hier? Wieso ist er jetzt noch auf dem Hof?« Rena schnaubte in das Tempotaschentuch, das Kosinski ihr zugeschoben hatte.
    Wie gelähmt hatte sie ihm hinterhergesehen. Und war erst, als er verschwunden war, hinübergelaufen – zu den Ponies, die mit den Hufen scharrten, die Köpfe zusammengesteckt hatten und ihr das Hinterteil

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