Caruso singt nicht mehr
es.« Kosinski hatte wieder das staatstragende Lächeln aufgesetzt, das Beate gar nicht schätzte.
»Ohne die Liebe von Ellens Freund hätte der Spitzel Leo Matern weiterhin sein kleinkriminelles Gewerbe ausgeübt.«
»Auch Lumpen haben ein Recht auf Leben.«
»Und ohne die Liebe einer Staatsanwältin säße der russische Artist im bundesdeutschen Knast.«
»Und dürfte auf mildernde Umstände hoffen.«
»Hast du eigentlich auf alles eine Antwort?« fragte Beate ihn mit blitzenden Augen.
Kosinski hob bescheiden die Schultern und sagte: »Wahrscheinlich.«
»Und du fragst dich nie«, fragte sie und kaute auf der Unterlippe, »ob es womöglich Situationen gibt, in denen der Tod dem Leben vorzuziehen ist?«
»Nein«, sagte Kosinski ohne zu zögern. »Du?«
Beate sah ihn aus ihren grünen Augen skeptisch an und Kosinski merkte mit Verwunderung, daß er sie immer noch so schön fand wie vor zwanzig Jahren.
»Nein«, sagte sie leise. Und, nach einer Weile: »Also die Liebe ist schuld?«
»Zuviel davon.«
»Wenn Frauen zu sehr lieben?«
»Das Phänomen ist nicht auf ein Geschlecht beschränkt.«
»Also spräche nichts gegen die wohltemperierte Liebe zu einem Mann, der die Gesetze achtet?« In Beates Stimme schwang verhaltenes Lachen mit.
»Nichts«, sagte Kosinski feierlich. »Überhaupt nichts.«
Nur kurz dachte Kosinski mit einem Anflug schlechten Gewissens an Anne, als er seine Frau in die Arme schloß. Er war Beate nicht untreu geworden, natürlich nicht. Nicht wirklich jedenfalls. Nur in Gedanken.
Als sie sich aus der Umarmung wieder lösten, sah Kosinski Beate lange in die Augen.
»Ich hab ihn plötzlich verstanden«, sagte er zögernd.
»Wen?«
»Den Russen.«
»Wieso?«
»Ich glaube – dich könnte ich auch nicht verlieren.«
Das war der leidenschaftlichste Ausbruch im Leben des Gregor Kosinski. Zu seinem Glück hatte er eine Frau, die das zu würdigen wußte.
10
Drei Monate später Der Winter hatte in diesem Jahr früh begonnen. Seit Weihnachten lag die Rhön unter einer dicken Schneedecke. Der Dauerfrost hatte sich bis in zwanzig Zentimeter Tiefe festgekrallt. Die große grüne Regentonne aus Plastik stand schief neben dem Geräteschuppen. Das Wasser war in einer eisigen Winternacht eingefroren, das Eis hatte sich ausgedehnt und den Boden der Tonne ausgebeult. Bremer zitterte um seine Rosen. Und um die Kübelpflanzen. Um die Gabelweihen, die schreiend über dem Haus kreisten.
Eine müde Amsel pickte in dem Körnerfutter, das Paul ausgelegt hatte. Zwei Meisen arbeiteten an den Knödeln im Fliederbaum. Gestern hatte Paul eine erfrorene Fledermaus gefunden, direkt unter der Dachtraufe, dort, wo es einen Durchschlupf zum Dachboden gab. Und heute hatte er einen ermatteten Bussard auf der Wiese neben der Pferdekoppel Richtung Groß-Roda gesehen. Alle Greifvögel hatten es jetzt schwer, denn keine Maus ließ sich oberhalb der dichten weißen Schneedecke blicken. Sie bahnten sich ihren Weg darunter. Wer sich als Greifer keinen ordentlichen Winterspeck angefressen hatte, verendete an Mäusemangel.
Es war elf Uhr vormittags, ein schmerzend blauer Himmel wölbte sich über dem Dorf, aus dessen Schornsteinen weiße Rauchfahnen aufstiegen. Gottfried schippte Schnee. Langsamer als früher; er war noch etwas wackelig auf den Beinen. Fast zwei Monate lang war er krank gewesen. Paul schippte auf der anderen Straßenseite. Die alte Martha eilte im Trippelschritt vorbei. Und Erwin stand vor seinem Zaun, rauchte eine und sah ihnen zu. Vom Friedhof näherte sich Noth senior, der das Grab seiner Frau besucht hatte und sich neuerdings sogar um die Ruhestätte seines alten Vaters kümmerte. Erst der Tod schien manche Menschen fürsorglich zu machen.
Marianne hatte sich heute noch nicht blicken lassen. Sie hatte vorgestern früh den alten Alfred, das dorfeigene Ekel, gefunden. Kurz, bevor es zu spät gewesen wäre. Alfred hatte fünfzehn Stunden lang bei minus zehn Grad in seinem Trecker gelegen, eingeklemmt zwischen Sitz und Lenkrad. Schon am Abend zuvor war er auf dem Feldweg hinter Willis Scheune Richtung Heckbach verunglückt. Und wenn Marianne nicht ihren Nachbarn, den Müllers, einen Gefallen hätte tun wollen und den Hund ausgeführt hätte – Frauchen war krank und Herrchen unterwegs, und das Tier heulte stundenlang in seinem Zwinger –, dann hätte Alfred nicht überlebt. Mit Knochenbrüchen und Erfrierungen hatten sie ihn ins Krankenhaus gebracht.
In Klein-Roda ging also alles seinen
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