Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
er schon an der Tür war, fiel Paul auf, daß Kosinski wieder einmal zwar nicht alle, aber doch wesentliche Fragen offengelassen hatte: »Wir wissen immer noch nicht, was Ellen Leinemann mit dem Mord an Leo Matern zu tun hat.«
    »Ich weiß es auch nicht«, sagte der Inspektor trocken und sah Bremer in die Augen. »Vielleicht – gar nichts?«
    Verarschen kann ich mich auch selbst, Gregor, dachte Paul. »Aber irgendeine Bedeutung für den Fall hat Ellen doch?« sagte er.
    Kosinski guckte ihn überrascht an, sah dann zu Anne herüber und setzte sich wieder. »Habe ich das nicht gesagt?« fragte er erstaunt. Anne und Paul schüttelten im gleichen Takt den Kopf.
    »›Ellen‹ stand in kyrillischen Buchstaben auf dem Allerwertesten Ihres Mannes, Frau Burau. Vielleicht heißt das ja auf Russisch ›Wodka‹. Oder es ist der Name einer Geheimorganisation. Oder«, sagte er und nickte zu Anne hinüber, »einer konspirativen Wohnung.«
    Aber Kosinski war der felsenfesten Überzeugung, daß »Ellen« auch »Ellen« bedeutete. Ein Frauenname. Oder schmückte man vielleicht den Namen einer konspirativen Wohnung mit Blumengirlanden?
5
    Als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, holte Karen den dicken Briefumschlag aus ihrer Handtasche. Es stimmte, was er gesagt hatte: Alles war genauestens protokolliert. In einer klaren, etwas umständlichen Schrift und in nicht immer ganz korrektem Deutsch. Aber absolut präzise. »Als ob er das Observieren gelernt hätte«, dachte sie flüchtig. Aber schließlich war auch das möglich.
    Sie hielt einen Ausschnitt aus den letzten Lebenswochen von Leo Matern in den Händen. Eine lückenhafte, aber aufschlußreiche Auflistung der Aktivitäten, denen das Mordopfer in Frankfurt nachgegangen war. Die Protokolle nannten Namen. Und Adressen. Und die Fotos zeigten überwiegend vertraute Gesichter: Frankfurter Prominenz, sogar der höchsten Stufe.
    »Damit hätten wir ihn gehabt«, flüsterte Karen und schloß die Augen. »Damit hätten wir den Matern drangekriegt.« Für acht Jahre, höchstens, meldete sich ihr skeptischer Verstand. Und dann? Besser als nichts, antwortete Karen, oder? Und – besser als tot. Aber vor allem: besser als zwei Tote.
    Sie schob die Kassette zum vierten Mal in ihr Autoradio und betätigte den Schnellvorlauf, bis sie kurz vor dem Ende des Bands angelangt war. Motorengeräusch. Sie hatte die Szene völlig klar vor Augen. Ein Mann in einem Auto – BMW, dachte sie mit professioneller Distanz, sie kannte den Sound. Der Mann fuhr schnell. Auf einer Autobahn, wie man aus dem gleichmäßigen Motorengeräusch schließen konnte. Der Mann hielt den Hörer eines Autotelefons ans Ohr – wahrscheinlich ans rechte. Und sagte – »Wenn ich dich nur früher kennengelernt hätte.« Er hatte den Satz noch ein wenig schweben gelassen – was hatte er gedacht, was gefühlt? fragte sich Karen – und dann den Hörer aufgelegt. Oder es jedenfalls versucht. Denn ihr Anrufbeantworter zeichnete weiter auf. Das Kreischen der Reifen. Er mußte das Steuer sehr abrupt herumgerissen haben. Den dumpfen Schlag – ein Geräusch, als ob aus einem engen Raum gewaltsam die Luft herausgepreßt worden wäre. Eher Brückenpfeiler als Leitplanke, analysierte ihr Hirn. Und dann, endlich, Stille.
    Karen bezweifelte, daß sie dieses Geräusch jemals würde vergessen können. Das Geräusch am Ende der langen Botschaft, der letzten auf dem Band ihres Anrufbeantworters. Wo war er? Es würde nicht schwer herauszufinden sein, sagte sie sich. Denn wo sein Weg geendet hatte, mußte unübersehbar sein.
    Sie glaubte nicht, daß er es überlebt hatte. Er war zu intelligent dazu.
    Karen zwang sich zur Ruhe. Aber ihr ging der quälende Gedanke nicht aus dem Kopf, daß sie das alles hätte verhindern können. »Wie denn?« fragte ihr Kopf. »Weniger Gefühle – mehr Verstand«, flüsterte sie. Weniger Selbstvergessenheit. Weniger Wirklichkeitsverleugnung. Hätte das David gerettet? Vielleicht nicht. Aber wenigstens, dachte sie, ihren Selbstrespekt. Denn eines stand fest: Professionell hatte sie sich nicht verhalten.
6
    »Und außer der mysteriösen Ellen gibt es keine Spur im Mordfall Matern?« fragte Paul ungläubig.
    »Durchaus«, antwortete Kosinski und sah ihn spöttisch an. »Spuren schon. Einen fremden Autofahrer oder Fußgänger hat unsere schlaflose Bevölkerung zwar nicht gesehen. Aber etwas anderes, etwas, das die alten Herrschaften offenbar nicht zur Spezies Mensch gezählt haben, sonst hätte es mir wenigstens

Weitere Kostenlose Bücher