Caruso singt nicht mehr
war auf diese seltsame Verkehrung noch gar nicht gekommen.
»Und ich war die ganze Zeit in Frankfurt!«, sagte Bremer mit rauher Stimme, der sich plötzlich wünschte, er hätte sie beschützt.
»Was hättest du schon machen können?« antwortete Anne pragmatisch.
Bei dir sein! dachte Paul und spürte den alten, schmerzenden Vorwurf in sich hochsteigen: »Du bist ja nie da, wenn deine Frauen dich brauchen …«
Sie gingen zum Hofladen, nebeneinander her, aber mit Abstand, so daß der Hund zwischen sie paßte, der wie eine friedliche Anstandsdame mittrottete. »Sie haben den Brandstifter gefaßt«, sagte Paul.
»Es sieht so aus, als ob sich plötzlich alle Rätsel lösen würden, oder?« sagte Anne. Auch der Mord an Leo? durchfuhr es sie. Der Gedanke daran bereitete ihr seltsamerweise Unbehagen.
»Es war offenbar ein Junge aus Heckbach, den alle für ein bißchen gestört halten. Sie hätten ihn fast erschlagen, als sie ihn vorgestern erwischt haben.«
Anne sah ihn mit ihren hellen blauen Augen an, in denen er Zorn sehen konnte. Aber auch eine tiefe, alte Melancholie. »Spinnen die denn heutzutage alle, die jungen Männer?« Sie drückte die Tür auf und scheuchte die Katzen von der Theke. Gleich drei hatten sich neben den Zapfhahn gelegt.
Paul zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich hat der kleine Peter auch bei dir gezündelt.«
»Steht das fest?«
Paul war aufgefallen, daß der Weiherhof weit ab vom Revier des Brandstifters lag, acht Kilometer entfernt von Laufelden, Streitbach oder Berghain, wo es in den letzten Wochen gebrannt hatte. Aber war das ein echter Hinderungsgrund?
»Ob das feststeht? Ich glaube schon.«
»Glauben heißt nicht wissen«, murmelte Anne und schaltete die Kaffeemaschine ein. Die Tür hatte sie aufgelassen. Paul, der sich an die Theke gelehnt hatte, sah die seltsame Prozession zuerst. Vorneweg kam Sammy hereingetrabt, der rote Setter, dem Dagobert verächtlich das Hinterteil zudrehte. Dann kam Rena, gefolgt von zwei Katzen. Dann Gregor Kosinski.
»Du bist ja auf, Rena?« rief Anne erstaunt. Und leicht verärgert. Der Arzt hatte schließlich noch nichts von Vernehmungsfähigkeit gesagt. »Herr Kosinski?« fragte sie scharf. »Keine Sorge«, sagte der Inspektor gemütlich und blinzelte Rena zu. »Ihre Tochter hat mir nur die Haustür aufgemacht.« Anne scheuchte Hunde und Katzen aus dem Raum und schloß die Tür. Rena sah besser aus, fand sie. Nicht mehr ganz so erschöpft. Und nicht mehr ganz so verheult.
Bremer begrüßte Kosinski mit Handschlag. Seltsam. Er freute sich, den Inspektor wiederzusehen. Das alte Indianergesicht, dachte er, als er in das verknitterte Gesicht und die grauen Augen des Mannes schaute, der sich schon wieder eine Zigarette anzündete.
»Fast hätte ich Sie angerufen«, murmelte Kosinski. Paul hob fragend die Augenbrauen.
»Nichts Besonderes«, erläuterte der Polizist. »Biertrinken. Männergeschichten.«
»Jederzeit«, murmelte Paul zurück und gab ihm mit der flachen Hand einen kurzen, leichten Schlag auf die Schulter. Die ultimative Geste der Zuneigung, zu der Männer fähig sind, dachte er selbstironisch. Und ein bißchen verlegen.
»Der Brandstifter ist also gefaßt«, konstatierte Anne und ließ Kaffee in die erste Tasse laufen.
»Kommt darauf an, welchen Sie meinen.« Kosinski rückte Rena am großen runden Tisch einen Stuhl zurecht und setzte sich neben sie. Es konnte ihm nicht entgangen sein, daß das Mädchen zusammengezuckt war.
»Haben wir mehr als einen?«
»Sieht so aus. Einige Zündeleien können wir wohl als aufgeklärt betrachten.« Kosinski nahm Rena die halbvolle Zigarettenschachtel aus der Hand, mit der sie nervös gespielt hatte.
»Auch den Weiherhof?« fragte Anne, die Paul den Kaffee auf die Theke gestellt hatte und nun mit gekrauster Stirn zum Inspektor hinübersah.
Kosinski zündete sich – umständlich, wie Paul auffiel – eine Zigarette an.
»Nein.«
»Nein?«
»Ausgerechnet den Weiherhof kann der Junge nicht angezündet haben. In dieser Nacht hat er sich um eine Scheune in Waldburg gekümmert. Mit zündendem Erfolg.«
Warum sollte nicht auch mal er einen Kalauer machen, dachte der Inspektor und hüstelte verlegen.
3
Zum ersten Mal seit Tagen nahm Karen Stark das hektische Blinken ihres Anrufbeantworters wahr, das sie begrüßte, als sie die Tür zu ihrer Wohnung aufgeschlossen hatte. Mit zitternden Fingern, wie sie mißvergnügt und leicht besorgt bemerkte. Sie hatte auf dem Nachhauseweg beschlossen, mit dem
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