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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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eigentlich davon ausgehen, daß es »einer von uns« war. Aber die Sturköppe und Dorfromantiker mochten das natürlich nicht einsehen.
    Was vielleicht sogar verständlich war. Denn in einer Stadt wie Frankfurt, der nächstgelegenen Großstadt, ist auch das Verbrechen anonym. Auf dem Dorf aber, wo jeder jeden kannte, zerstörte der Verdacht, es könne »einer von uns« sein, jene Eintracht, mit der man nach innen zusammenhielt, um nach außen die Zähne zu zeigen. Bremer spürte die allgemeine Verunsicherung auf Schritt und Tritt: an der Tankstelle, im Tante-Emma-Laden im Nachbarort, beim Heimwerkermarkt, beim Gärtner.
    Bast nickte, klopfte mit der behandschuhten Hand noch einmal nachdrücklich auf den Lenker, seufzte und nickte wieder. »Wir hoffen auf Ermittlungsergebnisse.«
    »Wir hoffen mit«, sagte Paul. Er meinte das ganz ernst.
    Ein Windstoß trieb den kleinen schwarzen Katzenkörper unter das Auto des Bürgermeisters. »Ich drück Ihnen die Daumen«, sagte der, bevor er den Gang einlegte. Bremer fröstelte unter seiner Regenjacke. Es war jetzt völlig dunkel geworden, und nur bei Erwins Haus waren die Rolläden noch nicht heruntergelassen, so daß aus dem Fenster zur Straßenseite hin das bläuliche Licht von Erwins Großbildfernseher herüberflackerte, sein ganzer Stolz, der Draht zur Welt.
    Alle haben hier direkten Anschluß an die Welt, dachte Paul, der sich plötzlich nur noch allein, aber nicht mehr einsam fühlte. Und war das dem allzu engen Kontakt mit der Realität nicht manchmal vorzuziehen? Er beschloß, sich ins Unvermeidliche zu schicken. Die Ankunft des Wassers bekam man auch von innen mit.
2
    Am nächsten Morgen quälte sich ein milchiges Licht durch die schon lange nicht mehr geputzten Fenster in Bremers Haus, der am Abend zuvor eine Flasche Rotwein auf die glückliche Fügung geleert hatte, daß das Wasser gerade rechtzeitig wieder gesunken war. Paul hatte die Augen geöffnet und gleich wieder zugemacht. Er wußte auch so, wie spät es war. Gegen sechs Uhr kam der Tankwagen von der Molkerei, um die Milch vom Hof der Nachbarn abzuholen. Der Fahrer ließ alle wissen, daß er eine leistungsstarke Autostereoanlage besaß und scherzte meistens fast ebenso laut mit Marianne, Pauls schöner Nachbarin, die sich durch keine EG-Norm von ihren Milchkühen abbringen ließ. Jetzt konnte Paul noch eine knappe halbe Stunde weiterdösen, bis pünktlich um halb sieben Erwin mit seinem Morgenritual einsetzte. Das begann mit einem bellenden, röchelnd verebbenden Husten, gefolgt von schleimförderndem Räuspern und Ausspucken, gefolgt von heftigem Rütteln am ewig klemmenden Schacht des Zigarettenautomaten an der Straße. Man konnte sich auf seine Nachbarn verlassen. Danach dauerte es noch etwa dreißig Minuten, bis der Bäckerwagen laut hupend um die Ecke bog.
    Auch Paul hatte seine Morgenrituale. Die erste Kanne Darjeeling nahm er im Bett zu sich, zusammen mit der Zeitung von gestern. Danach mußten Nachbars Katzen gefüttert werden, die ihn ungeduldig draußen vor der Haustür erwarteten. Die Katzenbelagerung begann meistens schon vor Tau und Tag, wie er feststellen konnte, wenn er in den frühen Morgenstunden vom Schlafzimmer im ersten Stock aufs Klo im Erdgeschoß mußte. Während er sich später in der Küche den Tee kochte, begann draußen das Geplärre. Und spätestens wenn er sich oben angezogen hatte und wieder die Treppe herunterkam, war auf dem Fußabtreter vor der Haustür die Hölle los.
    Heute waren die Zwillinge, zwei schwarze, besonders gefräßige Brüder, die ersten. Sie warfen sich ihm entgegen, sobald er aufgeschlossen, die Klinke herabgedrückt und die Tür einen Spalt geöffnet hatte. Auch der Graugetigerte und die Schwarzweiße strichen ihm um die Beine, während er in der Küche die erste Dose des Tages öffnete – obwohl keines der Tiere ins Haus durfte. Wenigstens, sagte Bremer sich und fixierte den Grauen strafend, guckten sie schuldbewußt dabei. Voller Gier scharten sich schließlich alle um die beiden Näpfe, die er ihnen gefüllt vor die Tür stellte, und versuchten, ihre dicken Köpfe möglichst gleichzeitig hineinzustecken. Die kleine schwarze Kätzin kriegte nur deshalb etwas ab, weil sie sich die Brocken mit der Pfote aus dem Freßgeschirr angelte und daneben, auf dem Boden, verspeiste. »Könnt ihr nicht mal manierlich essen?« brummelte Paul. »Immer muß man hinter euch aufwischen!«
    Nachbars Katzen mußten zu Hause nicht hungern. Aber nur bei Bremer gab es etwas,

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