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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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beruhigende Leere in seinem Kopf. In diesem Zustand mußte er nicht mehr grübeln. Über die Vergangenheit. Über die Zukunft. Über eine gescheiterte Ehe. Über seine gescheiterte Existenz.
    Was soll sein, Bremer? sagte er sich in solchen Momenten. Das Leben ist gut. Hart, aber ungerecht. Und voller Überraschungen.
     
    Bremer fuhr dampfend in Klein-Roda ein und stellte sein Rad in den Schuppen. Auf der Straße klappte eine Autotür, die Falle am Gartentörchen klickte, und Ernst, der Postbote, hielt am langgestreckten Arm Pauls Zeitungen und die Post, so als wolle er mit solcherlei dorfunüblichen Druckerzeugnissen wie der FAZ und dem Manufactum-Katalog möglichst wenig in Berührung kommen.
    »Der alte Noth ist tot«, rief er im Gehen Paul zu, kurz bevor er durchs Törchen verschwand, das er wieder, wie eigentlich immer, sperrangelweit offengelassen hatte – extra für Bello, nahm Paul mittlerweile an, den Riesenbernhardiner mit der Riesenneugier und dem Hang zu Riesenscheißhaufen, die er mit Vorliebe in Pauls Garten zu hinterlassen pflegte.
    In diesem Moment öffnete sich im Nachbarhaus knarrend ein Fenster und auch Marianne rief: »Hast du schon gehört? Der alte Noth ist gestorben, irgendwann heute nacht.«
    Als Paul, mit zwei Mark fünfzig und einem gebrauchten Eierkarton in der Hand, zu Gottfried rüberschlenderte, rief er schon von weitem: »Der alte Noth ist tot.« Aber Gottfried wußte das natürlich längst.
    Paul kannte den alten Noth nur als alten Noth – als uraltes Männchen mit eingefallenem Mund über einem zahnlosen Gaumen, das morgens und abends gebeugt über die Dorfstraße schlurfte. Die abgewetzte Kordhose, die an dunkelroten, ausgeleierten Hosenträgern um die ausgemergelte Gestalt schlotterte, war verschmutzt, zerrissen und hing im Hosenboden auf eine Weise herunter, die den Verdacht erhärtete, der jedem kam, dem der alte Mann vor die Nase geriet. Der alte Noth pflegte sich offenkundig vollzuscheißen und sich in diesem Zustand völlig wohl zu fühlen – selbst dann, wenn die Masse erkaltet und steif geworden war und ihn zu einem verräterischen Watschelgang zwang.
    An Bremer hatte er einen Narren gefressen – vielmehr an dessen Garten, aus dem der alte Mann mit kindlicher Freude zu klauen pflegte, was gerade besonders schön blühte. Die Familie, fand Paul, kümmerte sich nicht genug um den alten Knacker. Und wo blieb eigentlich die Gemeindeschwester, um dem Kerl wenigstens mal den Hintern zu putzen?
    Aber nun war er tot – und Zeit war’s. Das fanden alle hier, vorab Marianne, die lauthals auf Söhne und Enkel des Veteranen schimpfte, die es fertiggebracht hätten, den alten Zausel völlig verkommen zu lassen. »Ich möcht nicht wissen, wie das bei denen zu Hause aussieht, seit die Berta nicht mehr da ist.«
    Seit die einzige Frau im Hause, die Schwiegertochter vom alten Noth, oben auf dem Friedhof lag, schienen sich die Männer aufs gemächliche Verkommen eingestellt zu haben.
    »Die lassen doch niemand rein«, ergänzte Gottfried, vor dessen Hoftor, unter der schönen großen Linde, unter der die Feierabendbank nicht fehlte, sich alle einzufinden pflegten, wenn es was zu besprechen gab. Hier war sozusagen der informelle Thing-Platz der Gemeinde. »Die sind doch völlig verhockt.«
    Seit dem Tod der Berta konnte man dem Untergang der Familie Noth zusehen. Der »Oppa« schlurfte übelriechend und unrasiert durch die Gegend, der »Vatta« fuhr jeden Tag, morgens und abends, mit einem klapprigen alten Fahrrad zum Friedhof hoch und ließ seiner Frau nach ihrem Tod eine Anteilnahme zukommen, die sie sich im Leben nicht hätte träumen lassen. Der dickliche Jüngste war etwas beschränkt, aber es reichte zu Hilfsarbeiten im Sägewerk. Und der Älteste war ein verkniffener Typ mit Wieselgesicht, wie Paul fand, der den Burschen haßte. Der Knabe fuhr nicht nur die paar Meter zum Zigarettenautomaten mit dem Auto und ließ seine Rostlaube fröhlich weiterdieseln, während er den Zigarettenautomaten mißhandelte, sondern warf auch noch regelmäßig den Zellophanüberzug der Kippenschachtel, die er unter Fluchen, Rütteln und Klopfen dem Apparat abgezwungen hatte, in Pauls Vorgarten. Bremer fischte wöchentlich zehn bis zwölf dieser widerlichen Überzieher aus seinen Rosen. Zu seinem Leidwesen hielten alle ortsansässigen Raucher seinen Garten für eine besonders formschöne Zellophanhüllendeponie.
    »Vielleicht hätte man rechtzeitig etwas unternehmen müssen«, meinte Marie, die

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