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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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Menschen in den Autos. Doch bei all den Autos hatte er keine Augen für das von Lifante, das ihm folgte wie bei einem Trauermarsch.
    Â»Nur nicht schneller werden, sonst sieht uns der Pechvogel noch. Pechvogel und Schwachkopf. Da lassen wir ihn allein und alle Türen offen, und der Kerl braucht geschlagene zwei Stunden, bis er endlich abhaut. Es gibt Menschen, die werden als Sklave geboren. Ich bin mir sicher, der führt uns zu einem guten Hafen.«
    Â»Er geht ja auch zum Hafen, Inspektor.«
    Â»Das war eine Metapher, Cifuentes. Er sucht Rocco, da gehe ich jede Wette ein. Ich habe den Namen fallen lassen, um zu sehen, was für ein Gesicht der Penner macht. Er hat überhaupt keins gemacht, aber so große Ohren wie ein Elefant.«
    Â»Er weiß nicht, dass Rocco tot ist.«
    Â»Aber er weiß, dass ihm etwas zugestoßen ist.«

11 Der Schwager des Mädchens, das Emmanuelle sein sollte
    Der Bungalow war so perfekt, dass er Carvalho wie die Materialisierung der platonischen Idee eines Bungalows erschien, vorausgesetzt, unter den platonischen Ideen Platons gab es einen Bungalow. Während sich das Gartentor wie von selbst öffnete, tat dies bei der Tür der platonischen Idee eine Frau, die auch hätte Emmanuelle sein können. Gesichtszüge und Statur erinnerten an Helga Singer oder Muchnik, ihre Schwester, zwanzig Jahre nachdem sie die Fotos von sich hatte machen lassen. In ihrem Gesicht einer großen, sorgfältig platingefärbten Frau fanden sich weder Freude noch Selbstgefälligkeit.
    Â»Vielleicht war das ihr letzter Zufluchtsort vor ihrem Verschwinden. Sie war ein sehr stolzer Mensch, und eine Zeitlang schrieb sie uns Briefe, rief an oder besuchte uns gelegentlich, um uns zu berichten, wie gut es bei ihr lief. Immer mit dem Fotoalbum unterm Arm, und ich tat so, als würde ich ihr alles glauben. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass es ganz und gar nicht gut lief. Nicht mal äußerlich war sie mehr dieselbe. Sie hatte auf eine unnatürliche Weise zugenommen. Ich achte auf mein Äußeres. Meine Familie war immer sehr sportlich, drüben in Argentinien. Mein Vater ist mittlerweile achtzig und immer noch Mitglied im Yachtclub von San Isidro. Helga selbst war eine meisterhafte Sportgymnastin.«
    Â»Sie sagten, Ihre Schwester hätte hier Zuflucht gesucht?«
    Â»Zuflucht?«, entgegnete Gilda sarkastisch. »Das Wort gehörte nicht zu ihrem Wortschatz. Sie tat uns einen Gefallen. Verstehen Sie? Den Gefallen, etwas Zeit mit uns zu verbringen. Fünf unvergessliche Monate, die ich keinem wünsche. Helga war wie ein verletztes Tier.«
    Während Helga Singers Schwester redete, saß Dorotea die ganze Zeit neben Carvalho, doch im Gegensatz zu ihm, der dem Monolog der blonden Frau aufmerksam folgte, hatte sie das Gefühl, abwesend und irgendwie fehl am Platz zu sein. Sie stand auf und trat ans Fenster. Die Schönheit der Landschaft mit der Vegetation eines englischen Cottages und der große, teichähnliche Swimmingpool, über dem die schönsten Weiden, die sie je gesehen hatte, ihre Äste hängen ließen, rührten sie zutiefst. Sie hatte Tränen in den Augen, vielleicht von den Worten, die aus Gilda Muchniks rosa geschminktem Mund zu ihr herüberdrangen.
    Â»Mein Mann stellte mir ein Ultimatum, entweder sie oder ich. Sie war hysterisch, und alles, was unser Leben ausmachte, kam ihr kleinbürgerlich und schäbig vor, ohne jegliche Größe. Im Gegensatz dazu kam
sie
aus der Welt der Kunst. Nur die Kunst bewahrt uns vor dem Tod, pflegte sie zu sagen, um dann hinzuzufügen: ›Und das ist kein Paradox.‹ «
    Dorotea lächelte wissend, und wenn sie nicht so traurig gewesen wäre, hätte sie laut aufgelacht.
    Â»Eines Tages, als sie wie so oft betrunken war, kam sie wieder auf die Zeit zu sprechen, als sie die argentinische Emmanuelle sein wollte, und ihr fiel nichts Besseres ein, als den Kindern die Fotos von der Werbekampagne unter die Nase zu halten, die mit dem berühmten Akt. Ich konnte sie nicht davon abhalten. Mein Mann warf sie raus, und ich half ihr, die wenigen Sachen zu packen, die ihr geblieben waren. Ich war am Boden zerstört.«
    Vor Gildas Augen ziehen die Bilder der Szene vorüber, als sie gezwungen war, ihrer weinenden, aber standhaften Schwester den Rücken zuzukehren, einer Schwester, die wild auf ihre Habseligkeiten einschlug, während sie sie in ihre letzte

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