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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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schön.«
    Â»Wo ist dieses Foto?«
    Â»Nehmen Sie mir das bitte nicht weg. Es ist bei meinen Sachen, ich habe es zusammen mit etwas Geld unter meinen Wagen geklebt, damit es nicht geklaut wird.«
    Eine Hand hielt ihm das Foto vor die Augen.
    Â»Ist es das?«, fragte Lifante.
    Cayetano nickte. Der Inspektor schien das Interesse an ihm zu verlieren, doch von einem Moment auf den anderen würde er ihn sich wieder vorknöpfen, mit Fingern, die wussten, wie man Schmerzen zufügt, ihn am Bart packen und seinen Kopf so oft hin und her schütteln, bis sein Hirn nur noch Brei wäre.
    Â»Warum hast du Helga oder Palita, wie du sie nanntest, so gehasst? Warum hast du sie Palita genannt?«
    Â»Sie wollte das so. Sie hat alles von einem Sänger aus ihrer Heimat gesungen, der Palito hieß, Palito Ortega, und da ließ sie sich die Palita nennen. Sie konnte ziemlich witzig sein. Ich habe sie nicht gehasst, im Gegenteil ...«
    Inzwischen war ein junger Polizeibeamter mit Neuigkeiten hereingekommen, und niemand achtete mehr auf Cayetano. Alle umringten Lifante und stießen überraschte Rufe aus. Cayetano glaubte, den Namen Rocco zu verstehen, und spitzte Ohren, Augen und Nase, ohne dass er gewusst hätte, was er mit den Händen vor seinen mittlerweile sicheren Hoden anstellen sollte. Lifante war aus dem Kreis seiner Untergebenen getreten und drehte schweigend seine Runden im Zimmer. Plötzlich klatschte der Inspektor in die Hände.
    Â»Kommen Sie, Abmarsch! Leichen soll man nicht kalt werden lassen.«
    Ohne Cayetano eines Blickes zu würdigen, verließen sie den Raum. Der Obdachlose blieb in der Erwartung zurück, jemand würde kommen und ihm sagen, wie es in den nächsten Stunden weitergehen würde. Er hatte keine Uhr, aber es dämmerte bereits, als er beschloss, sich allmählich Sorgen zu machen und auf Zehenspitzen zu der Tür zu gehen, die den Raum, wo man ihn allein zurückgelassen hatte, vom Rest des Gebäudes trennte. Behutsam drückte er sie auf und war erschrocken, so viele Polizisten auf einmal zu sehen, so viele Verhöre, so viel geschäftiges, von monotonem Schreibmaschinengeklapper untermaltes Treiben. Er trat einen Schritt zurück und hatte bereits wieder den Ausgangspunkt seiner kurzen Exkursion erreicht, als sich ein Lächeln auf seinem Gesicht breitmachte und er noch einmal denselben Weg zurücklegte, um das Hauptbüro zu betreten und, noch immer lächelnd, den Absatz der Treppe zu erreichen, die zum Ausgang führte. Niemand hielt ihn zurück, obschon die Unentschlossenheit des Ausbrechers geradezu danach zu betteln schien, nach einem lautem
Halt
!, das allem, was er gerade erlebt hatte, allem, was ein diskriminierter Mensch gewöhnlich auf einer Polizeiwache erlebte, einen Sinn verliehe. Nichts. Niemand hielt ihn auf, und Stufe um Stufe, die er hinabstieg, unterbrochen nur von der aggressiven Präsenz des Wachpostens, der die Vorhalle mit langen, gleichmäßigen Schritten durchquerte, wurde Cayetano immer zuversichtlicher, zugleich aber auch ängstlicher. Jeder sieht, dass du ein Penner bist, Cayetano. In dieser Aufmachung betritt man ein Polizeirevier, aber man verlässt es nicht, das kann nicht gutgehen. Die Wache blickte auf, musterte ihn mit einem flüchtigen Blick, der ihn möglicherweise gar nicht richtig wahrnahm, und setzte ihr monotones Hin und Her fort. Cayetano spielte mit dem Gedanken, eine höfliche Bemerkung fallenzulassen, ein
Guten Tag
oder ein
Guten Abend
. Doch es war längst nicht mehr Tag, und der Abend hatte noch nicht begonnen. Was sollte er also sagen? Jetzt war die Wache stehengeblieben und sah ihn verwundert an.
    Â»Sind Sie immer noch hier? Bereitet Ihnen die Treppe vielleicht Probleme?«
    Â»Nein. Nein, ich habe nur ...«
    Der Polizist forderte ihn mit einer Kopfbewegung zum Weitergehen auf, und Cayetano erreichte das rettende Ufer der Straße. Im selben Moment begriff er, dass er barfuß war und dass es ihn einen kompletten Monat gekostet hatte, an derart hochwertige Schuhe wie die zu kommen, die er im Polizeirevier vergessen hatte. Ohne Schuhe die Vía Layetana zum Hafen hinunterzulaufen war ziemlich unbequem, aber er tat es trotzdem, ließ mehrere Straßen hinter sich und wünschte sich dabei so sehr, niemand würde sehen, dass er barfuß war, dass er sich tatsächlich wie der einzige Mensch auf dieser Prachtstraße fühlte, abgesehen von den

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