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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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eine Bestätigung der Nachricht, und als diese nickte, wich sie langsam zurück. Ihr Mann trat auf sie zu, die Arme bereits geöffnet, aber als er versuchte, sie wie ein Krake an sich zu reißen, hielt Gilda ihn mit ausgestreckten Händen davon ab. Es war wie ein Schutzwall, gegen den der solvente Mann mit aller Wucht prallte, bis er zurücktaumelte. Gilda stürzte davon, fand aber noch die Zeit, ihren Ehemann einen Schuft zu nennen. Der fuchtelte wild mit den Armen herum, eine Geste, die bedeuten sollte, dass er die Anwesenden um etwas mehr Verständnis, Zurückhaltung und Respekt in einem derart heiklen Moment bat. Nachdem er seine Botschaft auf diese Weise übermittelt hatte, wiederholte er sie noch einmal mit Worten:
    Â»Ich bitte Sie um etwas mehr Verständnis, Zurückhaltung und Respekt in einem derart heiklen Moment. Bitte kommen Sie in mein Büro, hier ist meine Visitenkarte, dort können wir uns in Ruhe über diesen erschütternden Umstand unterhalten.«
    Carvalho ging auf ihn zu, um einen winzigen Teil der großen Distanz zu überwinden, die sie voneinander trennte:
    Â»Ich hoffe, Sie sind ein wenig netter zu uns, wenn wir uns das nächste Mal begegnen. Mein aufrichtiges Beileid.«
    Zurück auf der Straße, fasste Dorotea das Geschehen zusammen:
    Â»Erinnern Sie sich, was Helgas Schwester gesagt hat? Alles, was unser Leben ausmacht, kam ihr kleinbürgerlich und schäbig vor. Dieste hat sich getäuscht. Das Mädchen hatte Charakter. Man braucht viel Charakter, um einer aalglatten Führungskraft wie ihrem Schwager die Stirn zu bieten.«
    Â»Sie lebte ihren eigenen Film, aber es gelang ihr nie, ihre Rolle zu spielen.«
    Â»Manche Schriftsteller leben in einer literarischen Welt. Die reinsten Nervensägen. Sie sagen, Helga lebte ihren eigenen Film. Vielleicht war es wirklich nicht einfach, mit ihr zusammenzuleben.«
    Carvalho blieb stehen und zwang Dorotea, ihren Wunsch zu fliehen im Zaum zu halten.
    Â»Eine Frage bleibt. Welche Rolle spielt Rocco bei dem Ganzen?«

12 Sie war ein gerissenes Flittchen
    Der Bettler betrat den Speisesaal und betrachtete das Spektakel der atemlos ihr Essen verschlingenden Bedürftigen, doch seine Augen suchten Cayetano, der vor einem dampfenden Teller saß. Er stellte sich an, um sich seinen Blechteller von einer der Nonnen mit Eintopf füllen zu lassen. Gut versorgt, suchte er sich einen freien Platz neben Cayetano. Seine Manieren ließen zu wünschen übrig, und Cayetano musste ein Stück zur Seite rücken, um ihm Platz zu machen. Der Bettler schnüffelte misstrauisch an seinem Essen und stocherte leicht angewidert mit dem Löffel darin herum, als suche er nach verdächtigen Resten früherer Mahlzeiten.
    Â»Das riecht nach Rüben.« Er erhielt keine Antwort und wiederholte: »Das riecht nach Rüben.«
    Â»Sind ja auch Rüben drin«, antwortete Cayetano. »Rüben sind billig und nahrhaft.«
    Â»Ich hasse Rüben.« Trotzdem aß er sie wie alle anderen. »In den nächsten Tagen streng ich meinen Grips an und tschüss.« Er aß weiter und sah dabei Cayetano an. »Man sieht, dass du mal was anderes warst.«
    Â»Jeder hier war mal was anderes.«
    Der fremde Bettler warf einen geringschätzigen Blick in die Runde.
    Â»Möglich, aber was besonders Großes waren die nicht. Ich bin erst seit vier Wochen auf der Straße. Die sozialistische Regierung hat mein Geschäft ruiniert, und die neue Regierung kotzt mich genauso an wie die alte. Politiker sind die Feinde der Geschäftsleute. Diesen Typ mit dem Schnauzer müsste man mal so richtig rasieren.«
    Â»Was für ein Typ mit Schnauzer?«
    Â»Aznar.«
    Cayetano öffnete den zahnlosen Mund und bemühte sich zu lächeln.
    Â»Willkommen im Leichenschauhaus«, sagte er.
    Â»Sag ruhig Abschaum. Ich ertrage keinen Abschaum.«
    Als sie aufgegessen hatten, gingen Cayetano und der Bettler nach draußen. Cayetano holte seinen Bollerwagen mit den Kartons und den anderen Schätzen aus dem Müllcontainer. Gemeinsam liefen sie durch das Viertel, zwei Silhouetten vor dem Horizont von Poblenou. Cayetano blieb stehen und zog eine versiffte Flasche aus dem bunten Inhalt seines Wagens hervor, entfernte den Korken, setzte sie an die Lippen und nahm einen großen Schluck. Zufrieden schnalzte er mit der Zunge.
    Â»Tresterbrand. Ich weiß nicht, was ich ohne meinen Tresterbrand

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