Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Blick wieder fröhlich, obwohl Gilda eine gewisse Feindseligkeit in ihren Augen wahrzunehmen glaubte.
»Collagen. Vielleicht haben Sie Recht. Ich glaube, Schuld am Ozonloch hat das ganze Collagen, das sich die Argentinierinnen spritzen lassen. In meiner Heimat machen das sogar die Männer. Wir hatten mal einen Minister, der lieà sich den Arsch operieren, weil er ihm zu rund war, und AlfonsÃn, ein Regierungschef, hat sich die Ohren entfernen lassen. Der Arme sah aus wie kastriert.«
Fröhlich lachend verlieà sie das Schönheitsinstitut Nefer, und als das Lachen bereits einem Lächeln gewichen war, verging ihr auch das. Carvalho versperrte ihr den Weg zu ihrem Auto. Sie tat, als würde sie ihn nicht erkennen, aber der Detektiv begrüÃte sie mit einem solchen Ãberschwang an Konnotationen und Evokationen, dass Gilda nichts anderes übrigblieb, als seine Wiedersehensfreude zu erwidern.
»Wo Sie gerade aufbrechen, könnten Sie mir einen Gefallen tun und mich in die Stadt mitnehmen. Ich bin ohne Auto hier, weil mir die genaue Lage dieses wundersamen Ortes nicht bekannt war. Innerhalb einer halben Stunde habe ich ungefähr zwanzig Frauen herauskommen sehen, die ich von der Titelseite der
Hola
kenne.«
Gilda fuhr in doppelter Hinsicht aufmerksam: zum einen wegen der unzähligen Autos, die sich auf die Ronda de Dalt zu zwängen versuchten, zum anderen wegen Carvalhos Präsenz an ihrer Seite, der sich behaglich im Sitz rekelte, die Hände entspannt im Nacken verschränkt.
»Es ist alles gesagt, was ich über meine Schwester weiÃ.«
»Manches will mir nicht ganz einleuchten, Señora Muchnik. Im Schönheitszentrum haben Sie sich als Señora Muchnik angemeldet.«
»Mein Mann ist etwas eigen, er hasst überflüssige Ausgaben.«
Carvalho schnellte nach vorne und sah sie an.
»Ãberflüssige? Da hat er womöglich nicht ganz Unrecht. Sie müssen nichts an sich machen, um als Kinostar durchzugehen. Wollten Sie auch ein Kinostar werden?«
»Das war Helgas Rolle. Ich habe eine andere Erfüllung gefunden: meinen Ehemann und meine Kinder.«
»Ihre Kinder.«
Gilda drehte sich zur Seite und sah ihn herausfordernd an.
»Ja, meine Kinder.«
»Das verstehe ich nicht, Señora OlavarrÃa.«
»Muchnik, wenn es Sie nicht stört.«
»Wo waren wir stehengeblieben?
Ja zu Kindern, nein zu Ehemännern
. Eine alte subversive Parole. Ich wiederhole, einiges leuchtet mir nicht ganz ein. Den offiziellen Angaben zufolge haben Sie zwei Kinder gezeugt und auf die Welt gebracht, einen Jungen und ein Mädchen. Verantwortlich für die beiden ist Bobby OlavarrÃa, wie der Name Ihres Mannes lautet. Bei Ihnen zu Hause wohnen aber drei Kinder; die beiden genannten und ein weiterer Junge. Der Junge kam dazu, als er fünfzehn war. Vor etwa ... Vor wie vielen Jahren? Ist er adoptiert?«
»Sagen wir Ja.«
»Sagen wir Nein.«
Gilda fehlte der Mut, seinem Blick standzuhalten. Sie steuerte das erstbeste Parkhaus an, eins von diesen Parkhäusern, dachte Carvalho, die durch den Pakt zweier Verbrecher entstanden waren â des Stadtrats und des Grundstückseigentümers â und die nur zwei Ziele hatten: so viele Autos wie möglich unterzubringen und sie zu zwingen, beim Parken die Wände zu streifen oder andere Fahrzeuge zu zerkratzen und dadurch sämtliche Autowerkstätten der Stadt zu bereichern. Gilda stellte den Wagen ab, die linke Seite der Karosserie war ein Fall für die Versicherung. Carvalho hatte schweigend zugesehen, wie sie nichts unversucht gelassen hatte, um auch wirklich an allen Wänden dieses Autoschlachthofs entlangzukratzen. Gilda entspannte sich und drehte sich zu ihm. Sie sah schön aus. Sie war schön.
»Helga hat ihn zu uns gebracht, vor acht, neun Jahren. Sie konnte nicht für ihn sorgen. Ich half ihr, so gut es ging, aber sie konnte ja nicht mal für sich selber sorgen. Es war hart, meine Schwester in einem solchen Zustand zu sehen.«
»Und Ihr Mann, hat er das Kind angenommen?«
»Zähneknirschend. Aber das war nichts Neues. Er schluckt alles zähneknirschend. Er macht alles im Leben so. Sogar beten.«
»Er betet?«
»Beim Opus Dei wird viel gebetet. Zumindest gehört mein Mann dem betenden Flügel an.«
»Das hätte ich nie gedacht. Aber wahrscheinlich beten sie per Telefon, Internet oder Fax. Eine moderne Form des
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