Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Katholizismus. Was ich nicht glauben kann, ist, dass Helga ihren Sohn weggibt und sich danach nicht mehr für ihn interessiert, dass sie überhaupt nicht mehr versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen.«
»Das war die Bedingung meines Mannes. Er konnte sie nicht ausstehen. Helga verkörperte alles, was er an Frauen hasste, vor allem ihre Dreistigkeit und das Fehlen jeglichen Schuldbewusstseins.«
»Warum ging Helga nach Spanien? Warum sind Sie und Ihr Mann hierhergekommen?«
Gilda überlegt, was sie antworten soll. Sie sieht ihn prüfend an, als wollte sie abwägen, ob er eine so vertrauliche Mitteilung verdient hat.
»Als es mit dem Militär zu Ende ging, musste mein Mann Argentinien verlassen. Kein Militär, kein OlavarrÃa. Während der Diktatur hatte er alle möglichen Posten inne. Anfangs war mir das egal, weil er mir egal war, um ehrlich zu sein, aber als es mit der ganzen Farce den Bach runterging, wurde Bobby nervös, und als Richter Strassera die ersten Prozesse anstrengte, sind wir nach Spanien gegangen.«
Carvalho dankt ihr den Vertrauensbeweis mit einem Nicken und fragt mit sanfter Stimme im Stile eines besten Freundes:
»Ihre Schwester kam hierher, weil sie Angst vor dem Militär, und Sie, weil Ihr Mann Angst vor der Demokratie hatte?«
»So ungefähr, obwohl mir Helgas Motive nie hundertprozentig klar waren. Angst. Ja, sie hatte Angst, auch ihre Abneigung gegen Bobby kam mir manchmal wie Angst vor.«
»Hat Ihre Schwester Ihnen irgendwann einmal von Rocco erzählt? Einem ehemaligen Professor?«
»Sie hat mit ihm geflirtet. Meine Schwester und mich trennten nicht allzu viele Jahre, und ich erinnere mich, wie angetan er von ihr war. Ich wünschte, sie wäre bei ihm geblieben. Dann wäre ihr Leben normal verlaufen.«
»Und die beiden Schwestern würden jetzt gemeinsam zur Massage ins Schönheitsinstitut Nefer gehen. Sie haben Rocco nicht zufällig in der letzten Zeit gesehen? Vielleicht ist er ebenfalls ermordet worden. Er ist verschwunden.«
Sie hielt seinem Blick stand. Bis Carvalho sie mit seiner nächsten Frage überraschte.
»Wer ist der Vater von Helgas Sohn?«
17 Muss ich diese Kaktusfeige essen?
Pepita de Calahorras Hals ist zu kurz, um den Kopf zu drehen und die Wirkung, die Aquilesâ Charme auf sie ausübt, im richtigen Maà zum Ausdruck zu bringen. »Was für ein Mann!«, ruft sie, und: »Dieser Mann!«
Halb verborgen hinter seinem viel zu hohen Glas mit Ron Collins teilte Biscuter ihre Freude.
»Vorsicht!«, betonte er. »Ron Collins, nicht Tom Collins.«
Der Dicke zwinkerte ihm zu.
»Du verstehst was vom Trinken, Junge.«
Da fragte Pepita de Calahorra Aquiles:
»Wie konnten Sie bloà so dick werden, ohne zu platzen?«
»Als Kind war ich ein dürrer Hering, bis meine Oma anfing, mich zu füttern.«
»Und das geht bis heute so?«
»Meine Oma lebt noch, jeden Morgen wiegt sie mich, und wehe, wenn ich nicht wenigstens ein halbes Kilo abgenommen habe.«
Pepita de Calahorra bog sich vor Lachen, und auch Biscuter leistete seinen Beitrag zur allgemeinen Heiterkeit,
wirklich klasse, der Mann hat Esprit
!
Die Calahorra weinte, Aquiles weinte, und auf die Tränen folgte die Wehmut über das, was vom La Dolce Vita übriggeblieben war.
»Wenn ich zurückdenke, wie ich vor vierzig Jahren in diesem Laden gesessen habe, und wie du, Pepita, eine junge Dame, fast noch ein Mädchen, umhergeflattert bist und dabei
Volare
gesungen hast. Damals war ich jede Nacht der letzte Gast in den Kneipen Barcelonas.«
»Hier, trink, und ich in denen von Andorra«, schaltete sich Biscuter ein, ohne dass es ihm gelungen wäre, die Erinnerungen des weiÃgekleideten Dicken in andere Bahnen zu lenken.
»Das sind die besten Jahre deines Lebens, die Zeit, in der du noch keine Verantwortung tragen musst, wo du verrückt sein darfst, wie es so schön heiÃt. Deshalb besuche ich jedes Mal das La Dolce Vita, wenn ich nach Barcelona komme, und dass diese Ruine die Ruine des ehemals berühmtesten Nachtlokals von Barcelona ist, macht mich unendlich traurig. Was für ein Schmerz! Hätten wir magische Augen, könnten wir in den vier schattigen Ecken dieses Lokals die Gesichter der vielen Menschen sehen, die hier einst glücklich waren. Ich kann mich noch gut an ein Mädchen erinnern, eine Landsmännin, eine argentinische Schönheit, die man
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