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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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einen Stuhl und schwieg ängstlich. Ganz und gar vergaß ich die übernommene Rolle, ich fühlte bloß mit ihm, ich sah, daß er alles, was ich ihm zu sagen hatte und weswegen ich gekommen war, von meinen Augen abgelesen hatte, die unbewußte Furcht mußte wohl in seinem Innern geschlummert haben, anders kann ich es auf natürlichem Weg nicht erklären, ich fühlte, wie plötzlich die Wurzeln seines Herzens aufgerissen wurden. Er erhob sich, er schwankte, ich wollte ihn halten, er gewahrte mich kaum, er schien völlig betäubt. Ich folgte ihm bis zum Bett, er warf sich darauf hin, krümmte den Körper und fing in einer solchen Weise zu weinen an, daß mir das Mark in den Knochen gefror.
    Noch war nichts geschehen, es konnte noch alles gut werden; so bildete ich mir ein und ließ es an tröstlichen Worten nicht fehlen. Das Weinen dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Dann erhob er sich, schlich in den Winkel, kauerte hin und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Ich redete unablässig in ihn hinein, ich weiß nicht mehr, was ich alles vorbrachte. Gegen sechs Uhr abends verließ ich ihn, und obgleich er bis dahin noch nicht einmal den Mund aufgetan, dachte ich mir, er werde mit der Geschichte schon fertig werden. Ich empfahl dem Diener, sich bisweilen nach Caspar umzusehen, und im stillen nahm ich mir vor, nach ein paar Stunden wiederzukommen, aber es war unausführbar, meine Berufsarbeit nahm mich bis in die Nacht in Anspruch. Alsich von Caspar fortgegangen war, saß er auf einem Schemel zwischen Ofen und Wandschrank, am andern Morgen um halb neun Uhr trat ich wieder in sein Zimmer, und wer beschreibt das schmerzliche Erstaunen, das ich empfand, als ich ihn an genau derselben Stelle, in unveränderter Haltung, noch immer die Hände vors Gesicht geschlagen, so sah, wie ich ihn vierzehn Stunden früher verlassen. Das Bett war noch in demselben Zustand, etwas zerdrückt von seinem ersten Draufhinsinken, kein Gegenstand war berührt, auf dem Tisch stand der mit einer dicken Haut überzogene Milchbrei, sein Nachtessen, daneben die Schale mit erkaltetem Kaffee vom Morgen, und es herrschte eine stickige, ungelüftete Atmosphäre. Der Diener kam, begegnete meiner stummen Frage mit einem Achselzucken, ich wandte mich an Caspar selbst, ich rüttle ihn an der Schulter, ich packe seine eiskalte Hand – nichts, keine Antwort, kein Laut, er schwelt vor sich hin, kaum daß sich seine Augen rühren. So verging wieder eine Viertelstunde, da wurde mir’s unheimlich, ich beschloß nach dem Arzt zu schicken, vielleicht habe ich auch dergleichen vor mich hingemurmelt, jedenfalls hatte Caspar verstanden, was ich wollte, denn jetzt regte er sich, hob den Kopf wie aus einer Grube heraus und schaute mich an. Ach, diesen Blick! Und wenn ich Abrahams Alter erreichte, nie könnte ich diesen Blick vergessen. Das war ein andrer Mensch. Leider liegt es nicht in meiner Natur, eine Situation momentan in ihrer ganzen Bedeutung zu erfassen; anstatt zu schweigen, begann ich wieder mit Scheintröstungen, aber ich spürte gleich, daß es besser sei, das letzte Abendrot der Hoffnung nicht nocheinmal über die verdunkelte Seele heraufzubeschwören; was mich entschuldigt, ist, daß ich selber ja kaum mit Klarheit wußte, was im Werk war, und daß mich die zermalmende Wirkung von etwas vollständig Unausgesprochenem, deren Zeuge ich war, mehr lähmte und erschütterte als das Wissen darum. Doch will ich Eure Exzellenz nicht durch Betrachtungen verwirren und hübsch in der Ordnung bleiben.
    Ich hatte schon zuviel Zeit verloren, ich mußte fort. Nach vieler Mühe war es mir gelungen, Caspar zu überreden, daß er sich ein bißchen niederlege, auch hatte er mir versprochen, mittags bei uns zu essen; das war mehr als ich erwarten durfte, ich ging also beruhigter meinen Geschäften nach, war um halb eins wie gewöhnlich zu Hause, wir warteten einige Zeit, aber wer nicht kommt, ist Caspar. Ich vermutete, er sei eingeschlafen, denn daß er die Nacht über nicht ein Auge geschlossen, hatte ich ihm angesehen, und ohne böse Gedanken ging ich um zwei Uhr wieder ins Gymnasium mit dem Vorsatz, beim Nachhauseweg in der Hirschelgasse nachzuschauen. Das tat ich auch, es war halb fünf und dämmerte schon stark, als ich am Tucherhaus war, aber wie wurde mir, als mir der Pförtner mitteilte, Caspar habe schon um zwölf Uhr das Haus verlassen und angegeben, er gehe zu mir. Ich war wie vor den Kopf geschlagen; neben aller Verantwortlichkeit durfte ich auch die begründetste

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