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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Mahlzeiten in seinem Hotel, wozu er eigens einen französischen Koch in Dienst nahm. Wenn es seine geheime Absicht war, sich auf diese Weise Freunde und Bewunderer zu verschaffen, so blieb ihm darin nichts zu wünschen übrig. Wenn er den Zweck verfolgte, all die guten Leute und ihre Gesinnungen kennen zu lernen, so fiel ihm das nicht sonderlich schwer; man gab sich rückhaltlos, man fühlte sich geehrt durch seine Gegenwart, man bestaunte seine geringsten Handlungen.
    Jeder Anlaß war ihm recht, um das Gespräch auf Caspar Hauser zu lenken; er wollte wissen, immer Neues wissen, schwelgte in den rührenden Einzelheiten, die man zu berichten wußte, fand es aber dabei doch nicht notwendig – eine Unterlassung, die allerdings auffallend gefunden wurde –, den Professor Daumer zu besuchen, sondern begnügte sich damit, den Gefängniswärter Hill zu sich kommen zu lassen und ihn auszufragen.
    Hill, von dieser Auszeichnung etwas aus dem Gleichgewicht gebracht, schilderte so beweglich, daß es von einem unter Verbrechern ergrauten Mann wunderbar zu hören war, jenes hold verlorene Weben und ergreifende Darniedersinken Caspars während seines Aufenthalts im Turm; zum Schluß rief er, glühend vor Eifer, er, was an ihm liege, er werde die Unschuld des Jünglings bezeugen, und wenn Gott selber das Gegenteil behaupte. Graf Stanhope war sichtbar erschüttert; er lächelte, sagte, hier sei ja nicht vonSchuld die Rede, und entließ den Mann fürstlich belohnt.
    Nun endlich entschloß er sich, Herrn von Tucher und damit auch Caspar selbst gegenüberzutreten. Wenn man ihn verwundert gefragt hatte, weshalb er dies so lang verzögere, hatte er erwidert, er bedürfe dazu seiner ganzen Sammlung und Seelenkraft, denn vor dem Augenblick, wo er Caspar zum erstenmal sehen werde, sei ihm bange, freudig bang wie einem Kind vor dem Weihnachtsabend.
    Herr von Tucher befand sich in seinem Arbeitszimmer, als man ihm die Karte des Engländers brachte. Es versteht sich von selbst, daß er von der Anwesenheit Stanhopes in der Stadt Kenntnis hatte und von dessen Umtrieben unterrichtet war. Da er in jedem Fall einen Friedensstörer in ihm sah, war er nicht zugunsten des Mannes voreingenommen.
    Nach allen Beschreibungen hatte er in dem Fremden eine liebenswürdige und gewinnende Erscheinung zu finden erwartet; gleichwohl war er überrascht, als er den vornehmen Gast auf sich zuschreiten sah, und im Nu schwand seine durch das Hörensagen und trübe Vorgefühle entstandene Abneigung.
    Es war allerdings etwas Gefährliches um den Mann, das spürte Herr von Tucher auf den ersten Blick, doch ebensosehr lag ein bestrickender Reiz von Weltlichkeit und geistreicher Anmut über seiner Person. Da seine Haltung stolz war, erschien die Zartheit der schlanken Gestalt nicht weibisch; die Züge, durchaus englisch markant, waren edel geschnitten und ließen die fahle Färbung der Haut vergessen; das wechselnde Feuerder durchsichtigen Augen erinnerte bald an die sanfte Gazelle, bald an die Ruhe des Tigers, kurz, Herr von Tucher wurde in einen Zustand angenehmer Spannung und Erregung versetzt, der durch das schnell in Fluß gebrachte Gespräch nicht im mindesten betrogen wurde.
    Die bloßen Fragen des Lords nach Caspars leiblicher und geistiger Verfassung bekundeten schon einen Menschen von hoher Einsicht und Kenntnis des Lebens, und was er sagte, eroberte die Zustimmung des Hörers mühelos.
    Auf die Beweggründe des Hierseins kam er von selbst zu sprechen. Was er vorbrachte, klang unbestimmt genug; er war augenscheinlich ein Meister in der Kunst, seine wahren Absichten zu verschleiern, aber kein Argwohn konnte Herrn von Tucher beifallen. Der Name Stanhope gab ausreichende Bürgschaft. Was konnte einen Lord Stanhope verhindern, deutlich zu sein? War es nicht Feingefühl und angestammter Takt, so war es eine Verschwiegenheit, die zugleich das Gelöbnis enthielt, zur gebotenen Stunde alles schicklich offenbar zu machen. Herr von Tucher fand sich dadurch eher verpflichtet als enttäuscht; ohne die ausgesprochene Bitte des Lords abzuwarten, fragte er höflich, ob es ihm genehm sei, Caspar zu sehen. Indem er die Versicherung der Dankbarkeit seines Gastes lächelnd abwehrte, läutete er und gab Auftrag, daß man den Jüngling hole.
    Es entstand nun eine Stille; Herr von Tucher verblieb in unwillkürlichem Lauschen an der Tür, und der Lord saß mit übergeschlagenen Beinen, den Kopf in die behandschuhte Linke gestützt, das Gesicht dem offenen Fenster zugekehrt. Es war

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