Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
Tablette eingenommen hat. Die Gesellschaft beschloss, dieses Virus nicht als Biowaffe gegen den Feind einzusetzen – sondern gegen die eigene Bevölkerung.«
Oker wirft mir einen Blick über die Schulter zu und sagt: »Die Gesellschaft hat den Viren übrigens Namen gegeben. Das, welches die Lähmungen verursacht, heißt Azurvirus.«
»Warum?«
»Azur ist ein anderes Wort für Blau«, erklärt Oker, »und im Labor wurden für dieses Virus blaue Etiketten verwendet, um es von den anderen zu unterscheiden. Ich vermute, dass die Funktionäre dadurch auf die Idee mit den blauen Tabletten gekommen sind. Die Gesellschaft modifizierte das Azurvirus und fügte es der Grundimmunisierung der Babys hinzu. Dadurch konnten sie später nach Bedarf das Virus durch die blaue Tablette triggern.«
»Die typische Logik der Gesellschaft«, bemerke ich. »Einerseits schützen sie dich, andererseits schleusen sie ein Virus in deinen Körper, um dich nach Bedarf zu kontrollieren. Aber warum litten nicht mehr Leute unter Lähmungen?«
»Weil das Virus nur latent im Körper vorhanden ist«, antwortet Oker. »Es schleust sein eigenes Erbgut in die menschliche DNS ein, bleibt aber so lange inaktiv, bis es durch die blaue Tablette getriggert wird. Nimmt man sie ein, wird die gesamte Muskulatur gelähmt, und wenn man nicht rechtzeitig gefunden wird, ist man dem Tod geweiht. Gegen das Azurvirus gibt es ebenso ein Heilmittel wie gegen die erste Form der Seuche. Doch damit waren die Grenzen der Wissenschaft erreicht – ein Mittel gegen den Mutanten wurde bisher nicht entdeckt.«
»Warum erzählen Sie mir das alles?«, frage ich.
»Weil ich jeden Moment tot umfallen kann«, erwidert Oker. »Jemand muss über diese Vorgänge Bescheid wissen.«
»Und warum haben Sie ausgerechnet mich ausgewählt? Sie kennen mich ja nicht einmal.«
»Aber du kennst Leute, die am mutierten Virus erkrankt sind«, erwidert Oker. »Du hast Verwandte und Freunde in den Provinzen, und einer deiner Freunde liegt hier auf der Krankenstation. Du hast ganz persönliche Gründe, um nach einem Wirkstoff zu forschen. Nicht zuletzt deswegen, weil du nie erfahren wirst, ob deine Freundin sich für ihn oder für dich entschieden hätte, falls dein Freund stirbt.«
Oker hat natürlich recht. Er ist ein scharfer Beobachter, was mich eigentlich nicht wundern dürfte. Ein wahrer Steuermann sollte genau diese Qualitäten besitzen. Den Rest des Weges legen wir schweigend zurück.
Als wir das Labor erreichen, schütten wir die Zwiebeln auf dem Tisch aus. Oker trägt Tess und Noah auf, sie zu waschen, aber nicht zu schrubben. »Nur die Erde entfernen!«
Sie nicken.
»Ich sortiere die besten Zwiebeln aus«, sagt Oker zu mir und schiebt mit den Knöcheln den Haufen auseinander. »Du suchst das Material zur Verarbeitung zusammen. Wir brauchen Messer, ein Schneidebrett, Mörser und Stößel. Stell sicher, dass alles sterilisiert ist.«
In aller Eile suche ich das Material zusammen. Als ich fertig bin, hält Oker schon die richtigen Zwiebeln bereit. »Das sind die besten«, erklärt er. »Mit ihnen fangen wir an.« Er schiebt mir eine zu. »Schneide sie auf. Das musst du übernehmen, ich kann es nicht.«
Ich schneide die Zwiebel in der Mitte auseinander. Als ich sie zerteile, halte ich den Atem an: Von innen ist sie in Lagen geschichtet wie eine Speisezwiebel und schimmert wunderbar perlmuttfarben, fast weiß.
Oker reicht mir Mörser und Stößel. »Zerkleinere, trockne und verarbeite sie zu Pulver. Wir brauchen genug Wirkstoff für alle.«
Mit einem Knall fliegt die Tür auf. »Da seid ihr ja!«, keucht Leyna mit aschfahlem Gesicht. »Ich habe einen Suchtrupp nach euch ausgeschickt!«
»Wir sind eben erst zurückgekommen«, sage ich. »Wir müssen die anderen verpasst haben.«
»Was ist denn?«, fragt Oker.
»Die Versunkenen!«, sagt Leyna. »Sie sterben!«
Im Raum herrscht absolute Stille. Oker fragt: »Betrifft es die Patienten aus der ersten Gruppe, die der Steuermann zu uns gebracht hat?«
»Ja«, sagt Leyna, und ich seufze erleichtert auf. Das bedeutet, Ky ist nicht dabei.
»Es musste irgendwann so weit kommen«, sagt Oker. »Diese erste Gruppe hat jetzt schon mehrere Wochen lang überlebt. Mal sehen, was wir noch für sie tun können.«
Leyna nickt. Bevor wir gehen, lässt mich Oker die Zwiebeln wieder einwickeln und wegsperren. »Stellt noch mehr von der Lösung her«, trägt er Noah und Tess auf. »Aber keiner soll an dem neuem Heilmittel weiterarbeiten, bis ich
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