Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
dehydrieren und sterben. Jeder könnte infiziert sein. Wir können euch heilen, aber nur, wenn wir euch erreichen! Flieht nicht!«
Der Bildschirm wird dunkel, doch der Ton läuft weiter.
Bestimmt wurde dieser Steuermann aus vielerlei Gründen ausgewählt, aber einer davon war sicher seine Stimme.
Denn als er anfängt zu singen, vergesse ich alles um mich herum.
Er stimmt die Hymne der Gesellschaft an, ein Lied, das mich schon mein ganzes Leben lang begleitet hat, bis in die Canyons hinein, ein Lied, das ich niemals vergessen werde.
Der Steuermann singt es getragen und traurig.
Die Gesellschaft stirbt, ist bereits tot.
Tränen strömen mir über die Wangen. Gegen meinen Willen weine ich um die Gesellschaft, betrauere ihr Ende. Das Ende eines Systems, das viele von uns lange Zeit beschützt hat.
Die Erhebung hat mir aufgetragen zu warten.
Doch ich bin nicht länger bereit dazu.
Ich ertaste mir den Weg durch den unterirdischen Gang. Grünes Moos zerbröselt unter meinen Fingern, und ich wundere mich darüber, wie üppig und schnell die Pflanzen hier unter der Erde wachsen. Seltsamerweise begegne ich hier unten nie anderen Menschen, die kommen oder gehen. Dennoch begleitet mich ständig die Angst, ich könnte Haut statt Gestein berühren.
Ich konnte Ky nicht finden, daher will ich die Archivisten fragen, was sie wissen. Egal, ob sie die Gesellschaft oder die Erhebung unterstützen – sie sind in erster Linie ihrer Berufung treu.
Heute haben sich ausnahmsweise nicht alle zwischen ihre Regale zurückgezogen, um im Stillen ihre Geschäfte abzuwickeln. Stattdessen haben sich Archivisten und Händler im großen Hauptraum zusammengefunden und diskutieren in Grüppchen miteinander. Die größte Gruppe hat sich natürlich um die Chefarchivistin gebildet. Bestimmt muss ich lange warten, bis ich sie sprechen kann. Doch zu meiner Überraschung löst sie sich aus der Gruppe, sobald sie mich sieht, und kommt auf mich zu.
»Stimmt das mit der Seuche?«, frage ich sie.
»Diese Information ist ziemlich wertvoll«, antwortet sie lächelnd. »Ich sollte ein Gedicht dafür verlangen.«
»Aber meine Gedichte sind alle weg!«
Entsetzt fragt sie: »O nein! Wie ist das denn passiert?«
»Jemand hat sie gestohlen.«
Mitfühlend sieht sie mich an und reicht mir ein Stück Papier, einen geringelten weißen Streifen aus einem der illegalen Terminals der Archivisten. Als ich mich im Raum umblicke, sehe ich, dass viele andere auch so ein Stück Papier in der Hand halten.
»Sie sind nicht die Einzige, die wissen möchte, ob das mit der Seuche wirklich stimmt«, sagt die Archivistin. »Doch es ist wirklich wahr.«
»Nein!«, stöhne ich.
»Wir haben schon mit einer Seuche gerechnet, bevor die Barriere errichtet wurde«, fährt sie fort. »Lange Zeit konnte die Gesellschaft die Krankheit kontrollieren, aber inzwischen breitet sie sich rasend schnell aus.«
»Woher wissen Sie das?«, frage ich. »Von der Erhebung?«
Lächelnd antwortet sie: »Wir erhalten unsere Informationen sowohl von der Gesellschaft als auch von der Erhebung. Doch wir Archivisten haben gelernt, beiden zu misstrauen.« Sie zeigt auf das Stück Papier in meiner Hand. »Wir haben einen Code für Zeiten wie diese, den wir schon seit langer Zeit benutzen, um einander vor ansteckenden Krankheiten zu warnen. Diese Zeilen stammen aus einem sehr alten Gedicht.«
Ich lese, was auf dem Zettel steht.
Sogar der Doktor selbst muss gehen,
Und alles Sein, das muss verwehen.
Die Seuche tobt mit Todessinn,
Nun raffet sie auch mich dahin.
Fest umklammere ich das Stück Papier. »Wer ist der Doktor?«, will ich wissen.
»›Doktor‹ ist eine alte Bezeichnung für ›Medic‹. Aber es meint hier niemanden im Besonderen«, antwortet sie. »Es geht um den Begriff Seuche .«
Bei dem Wort »Medic« muss ich sofort an Xander denken.
Mit schief zur Seite geneigtem Kopf fragt sie: »Warum fragen Sie? Wer sollte denn Ihrer Meinung nach mit dem Doktor gemeint sein?«
»Der Anführer der Gesellschaft«, antworte ich ausweichend. Obwohl ich mit ihr Geschäfte gemacht habe, sträube ich mich dagegen, der Chefarchivistin von Xander oder Ky zu erzählen.
Lächelnd erwidert sie: »Es gibt keinen Anführer der Gesellschaft. Funktionärskomitees aus verschiedenen Behörden haben das Sagen. Das müssten Sie doch inzwischen herausgefunden haben.«
Sie hat recht. Ich habe es mir gedacht. Aber es ist seltsam, meine Vermutung bestätigt zu hören. »Aber irgendwo in den Archiven muss es
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