Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
doch Informationen über die Seuche geben!«, bohre ich nach.
»Allerdings«, erwidert die Archivistin. »Überall ist von verschiedenen Seuchen die Rede, in der Literatur, in den Geschichtsbüchern, sogar in der Poesie, wie du siehst. Und es ist immer dasselbe: Die Infizierten sterben, bis ein Heilmittel gefunden wird.«
»Würden Sie es mir sagen, wenn meine Gedichte irgendwo auftauchen?«, bitte ich die Archivistin. »Wenn jemand sie in den Handel bringt?«
Ich kenne die Antwort bereits, aber trotzdem schmerzt es, sie zu hören. »Nein«, sagt sie. »Unsere Aufgabe besteht allein darin, die als Handelsware angebotenen Objekte als Originale zu identifizieren und die Handelswege zu verfolgen. Niemand muss uns Rechenschaft über die Herkunft seiner Ware ablegen.«
Ich weiß das natürlich. Schließlich hätte ich sonst ebenfalls erklären müssen, woher meine Gedichte stammten. In gewisser Weise habe ich sie ja auch gestohlen.
»Ich könnte Gedichte schreiben«, schlage ich vor. »Ich habe schon oft darüber nachgedacht …«
Die Chefarchivistin unterbricht mich. »Dafür gibt es keinen Markt«, sagt sie nüchtern. »Wir handeln mit alten Sachen von etabliertem Wert und neuen Gegenständen, deren Wert sich von selbst erschließt.«
»Augenblick«, sage ich, während die Idee mehr und mehr von mir Besitz ergreift und mich wagemutig macht. Ich kann nicht anders, denn ich stelle mir vor, wie wir alle zusammenkommen, um Handel zu treiben. In meiner Phantasie spielt sich die Szene in einer Stadthalle ab, im großen Kuppelsaal. Doch diesmal tragen wir keine Festkleider, sondern halten bunte Bilder in den Händen oder geschriebene Texte, oder wir summen leise neue Melodien, ohne Furcht, ertappt zu werden, bereit für die Frage: Was für ein Lied singst du da?
»Angenommen«, beginne ich, »wir eröffneten einen neuen Markt, auf dem wir mit Werten handeln, die wir selbst neuerschaffen haben? Vielleicht malt jemand ein Bild, das mir gefällt, und dafür möchte ein anderer ein Gedicht von mir haben. Oder …«
Die Archivistin schüttelt den Kopf und wiederholt: »Für so etwas gibt es keinen Markt. Aber das mit Ihren Gedichten tut mir wirklich leid.« In ihren Worten schwingt das Bedauern einer echten Kennerin mit. Sie weiß, was diese Gedichte wert waren. Sie hat das Papier gesehen und den Hauch von Stein und Staub gerochen, der ihnen anhaftete.
»Ja, mir auch«, sage ich. Dabei ist mein Verlust viel schlimmer, persönlicher und schmerzlicher. Mit den Gedichten wurde mir zugleich jede Möglichkeit genommen, mit Ky in Verbindung zu treten. Sie waren die einzige Sicherheit, die ich besessen habe, falls ich aufhörte, an die Erhebung zu glauben, oder die Lage außer Kontrolle geriete. Jetzt kann ich im äußersten Notfall auf nichts zurückgreifen und habe keine Möglichkeit, mir den Weg zu Ky oder zu meiner Familie zu erkaufen. Mir ist kaum etwas geblieben, und selbst das Gedicht von Dylan Thomas, das kein anderer kennt, würde ohne das Originaldokument auch nicht annähernd dafür ausreichen, um mir eine Flucht zu ermöglichen.
»Immerhin sind noch zwei Objekte unterwegs zu dir«, gibt die Archivistin zu bedenken. »Wenn sie angekommen sind, kannst du sie sofort in Besitz nehmen, denn du hast ja bereits den vollen Preis dafür bezahlt.«
Natürlich! Das Ende des Gedichts Dich hab ich nicht erreicht und Großvaters Mikrochip! Hoffentlich kommen sie überhaupt noch an!
»Sie können auch weiter für uns Handel treiben«, schlägt die Archivistin vor, »solange Sie sich als vertrauenswürdig erweisen.«
»Vielen Dank«, sage ich. Wenigstens etwas. Zwar ist die Bezahlung gering, aber vielleicht kann ich etwas ansparen.
»Einiges verliert nie seinen Wert, egal, wer an der Macht ist«, fügt die Archivistin hinzu. »Anderes schon. Die Währung wird sich verändern.« Sie lächelt. »Es ist jedes Mal sehr interessant, das zu beobachten.«
Zweiter Teil
Die Poetin
Kapitel 9
Xander
»Ich sterbe«, sagt der Patient zu mir. Er öffnet die Augen. »Es ist gar nicht schlimm.«
»Nein, Sie sterben nicht«, versichere ich ihm und nehme eine Ampulle mit dem Gegenmittel aus meinem Koffer. So etwas habe ich in den letzten Wochen immer häufiger erlebt. Die Infizierten kennen inzwischen die Symptome der Krankheit und wenden sich oft schon an uns, bevor sie bettlägerig werden. »Und das Rot hier ist übrigens nur die Farbe der Ampulle, nicht des Impfstoffs. Er wirkt sehr schnell, Sie werden es merken.« Der Mann ist schon
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