Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
zieht etwas aus der Innentasche seines Mantels und reicht es mir. Ein Blatt Papier. Eine Nachricht von Ky? Oder von Xander?
Wie hat Xander meine letzte Nachricht aufgenommen? Meine Worte an ihn waren die schwersten, die ich jemals schreiben musste. Ich falte das Blatt Papier auseinander.
»Bitte nicht lesen«, sagt der Archivist verlegen. »Nicht, solange ich noch hier bin. Ich habe mich gefragt, ob Sie es vielleicht irgendwann für mich aufhängen würden? Nachdem ich gegangen bin? Es ist eine Geschichte, die ich geschrieben habe.«
Ich verspreche ihm, dass ich es noch heute Abend tun werde. Ich hätte ihm gegenüber keine Vorurteile haben sollen, nur weil er ein Archivist ist, sondern mir eigentlich denken können, dass er auch etwas zu unserer Galerie beitragen wollte.
»Die Leute fragen uns, ob ihre Werke irgendeinen Wert besäßen«, fährt der Archivist fort. »Leider muss ich das verneinen. Jedenfalls nicht für uns. Ich schicke sie dann zu Ihnen. Aber ich weiß nicht, wie Sie diesen Ort nennen.«
Zunächst zögere ich, es ihm zu verraten. Doch die Galerie ist allgemein zugänglich, man kann sie nicht geheim halten. »Wir nennen ihn ›die Galerie‹«, sage ich schließlich.
Der Archivist nickt. »Vielleicht sollten Sie im Moment aber lieber Menschenansammlungen meiden«, rät er mir. »Uns ist zu Ohren gekommen, dass das Virus mutiert sei.«
»Diese Gerüchte hören wir schon seit Wochen«, erwidere ich.
»Ich weiß«, sagt er, »aber eines Tages könnten sie sich als wahr erweisen. Deswegen bin ich heute Abend gekommen. Ich musste dies hier schreiben, falls uns die Zeit davonläuft.«
Ich verstehe. Ich habe gelernt, dass es selbst ohne eine Seuche oder eine Virenmutation stets an Zeit mangelt. Deswegen musste ich auch Xander schreiben, obwohl es mich fast unmenschliche Überwindung kostete. Ich musste ihm die Wahrheit sagen, weil man seine kostbare Zeit nicht mit Warten vergeuden sollte.
Ich weiß, dass Du mich liebst. Ich liebe Dich auch, und ich werde Dich immer lieben, aber so kann es einfach nicht weitergehen. Wir müssen etwas ändern. Du sagst, es mache Dir nichts aus, dass ich einen anderen liebe, und Du würdest auf mich warten, aber ich glaube, es macht Dir etwas aus, und das sollte es auch. Denn wir haben in unserem Leben schon zu lange gewartet, Xander. Bitte warte nicht länger auf mich.
Ich hoffe, dass Du die Liebe findest.
Ja, das wünsche ich mir mehr als alles andere, vielleicht sogar mehr als mein eigenes Glück.
Und in gewisser Weise bedeutet das wohl auch, dass ich Xander am allermeisten liebe.
Kapitel 16
Ky
»Wohin geht es heute?«, fragt Indie, als sie ins Luftschiff einsteigt.
Ich fliege heute, deshalb sitze ich im Pilotensitz. »Keine Ahnung«, antworte ich. »Wie immer.« Seit der Machtübernahme der Erhebung erhalten wir unsere Aufträge nicht mehr im Voraus. Ich beginne mit der Überprüfung der Instrumente. Indie hilft mir.
»Heute fliegen wir mal ein älteres Schiff«, stellt sie fest. »Gut!«
Ich bin ganz ihrer Meinung. Indie und ich bevorzugen beide die älteren Schiffe, die zwar unberechenbarer sein können als die neueren, aber auch ein anderes Fluggefühl vermitteln. Bei den neuen Schiffen kommt es uns manchmal so vor, als flögen sie uns, anstatt wir sie.
Alles ist in Ordnung, und wir warten auf unsere Instruktionen. Es regnet wieder einmal, und Indie summt vor sich hin. Sie klingt, als sei sie glücklich. Unwillkürlich muss ich lächeln und sage: »Ich bin froh, dass wir immer zusammen eingeteilt werden. In der Kaserne und in der Kantine sehe ich dich überhaupt nicht mehr.«
»Ich hatte viel zu tun«, sagt Indie ausweichend. Näher zu mir gelehnt fragt sie: »Willst du dich zur Ausbildung als Kampfpilot melden, wenn die Impfaktionen abgeschlossen sind und die Seuche eingedämmt ist?«
Treffe ich Indie deswegen so selten? Hat sie vor, demnächst den Beruf zu wechseln? Die Kampfpiloten, die unsere Frachtschiffe schützen, durchlaufen eine jahrelange Ausbildung, bei der sie natürlich das Kämpfen und Töten lernen. »Nein«, antworte ich. »Und du?«
Bevor sie antworten kann, treffen unsere Flugpläne ein. Indie greift nach ihnen, aber ich schnappe sie ihr vor der Nase weg, und sie streckt mir die Zunge heraus, als wären wir Kinder. Als ich einen Blick auf die Pläne werfe, setzt mein Herz einen Schlag lang aus.
»Was ist denn?«, fragt Indie und reckt den Kopf, um besser sehen zu können.
»Wir fliegen nach Oria«, sage ich
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