Cassia & Ky – Die Ankunft: Band 3 (German Edition)
Gedichtschnipsel sind ausgegraben, neu vergraben und tiefer in die Erde geschoben worden.
Sie haben den Hügel zerstört.
Ich lande das Schiff. Hinter mir höre ich, wie Caleb den Laderaum öffnet und die Kisten herauszieht. Ich bleibe sitzen und starre vor mich hin.
Ich will wieder zurück auf den Hügel, zusammen mit Cassia. Ich wünsche es mir so sehr, dass ich befürchte umzukippen. So viele Monate, und wir sind immer noch getrennt! Ich lege den Kopf in die Hände.
»Ky?«, fragt Indie. »Alles in Ordnung?« Sie legt mir ganz kurz die Hand auf die Schulter und geht dann ohne mich anzusehen hinunter, um Caleb zu helfen.
Ich bin ihr dankbar, für die Berührung und dafür, dass ich alleine sein kann, aber beides währt nicht lange.
»Ky?«, ruft Indie. »Komm mal runter, das musst du sehen!«
»Was ist denn?«, frage ich und steige in den Frachtraum. Indie zeigt auf eine Stelle an der Schiffswand, so nahe am Boden, dass sie bis eben von Kisten verborgen wurde. Irgendjemand hat Bilder in das Metall gekratzt. Sie erinnern mich an die Abbildungen in den Höhlen der Canyons.
»Sie trinken den Himmel«, sagt Indie.
Sie hat recht. Auf dem Bild fällt kein Regen vom Himmel wie auf einem meiner Bilder, sondern Bruchstücke des Himmels scheinen herab zur Erde gestürzt zu sein, und menschliche Figuren heben sie auf und trinken Wasser aus ihnen.
»Davon werde ich durstig«, sagt Indie.
»Schau mal«, sage ich und deute auf eine Figur, die vom Himmel herunterschwebt. »Wer soll das sein, was meinst du?«
»Der Steuermann natürlich.«
»Sind die Bilder von dir?«, frage ich Caleb, der oben an der Treppe auf weitere Kisten wartet.
»Welche Bilder?«, fragt er.
»Diese hier.«
»Nein«, erwidert er. »Das muss einer der anderen Boten gewesen sein. Ich würde niemals das Eigentum der Erhebung beschädigen.«
Ich reiche ihm eine weitere Kiste hinauf.
Wir liefern unsere Fracht ab und kehren zum Schiff zurück. Unterwegs bleibt Indie zurück. Ich drehe mich um und sehe, wie sie mit Caleb redet. Er schüttelt den Kopf. Indie geht einen Schritt auf ihn zu. Sie hat das Kinn hochgereckt, und ich kann mir genau vorstellen, wie ihre Augen blitzen.
Sie will ihn zu irgendetwas zwingen.
Wieder schüttelt Caleb den Kopf. Seine Haltung wirkt angespannt.
»Sag es mir!«, verlangt Indie. »Auf der Stelle! Wir müssen es wissen!«
»Nein«, erwidert er. »Du bist nicht mal die Pilotin auf diesem Flug. Lass mich in Ruhe!«
»Ky ist der Pilot«, entgegnet sie. »Er musste hierherfliegen, ausgerechnet in seine Heimatprovinz. Weißt du, wie schwer das für ihn sein muss? Was wäre, wenn du nach Keya fliegen müsstest, oder wo auch immer du herkommst? Er sollte wenigstens erfahren, was wir hier tun!«
»Wir bringen den Impfstoff«, antwortet Caleb verstockt.
»Aber nicht nur!«, beharrt Indie.
Caleb weicht ihr aus und geht weiter. Über die Schulter hinweg sagt er: »Wenn der Steuermann wollte, dass ihr es erfahrt, dann wüsstet ihr es.«
»Du bist doch bloß ein Bote, nicht mal ein Pilot«, höhnt Indie. »Für den Steuermann zählst du gar nicht.«
Caleb tritt einen Schritt zurück, das Gesicht hassverzerrt.
Denn Indie hat recht, und sie weiß, wie schmerzlich das für Caleb sein muss. Schließlich ist es der Traum eines jeden elternlosen, verwaisten Arbeiters der Erhebung, den Steuermann so stolz auf sich zu machen, dass er in den Kreis seiner Vertrauten aufgenommen wird.
Indie wünscht sich das genauso sehr.
Als ich später auf einem Feld in der Nähe des Lagers sitze, gesellt sich Indie zu mir. Ich hoffe zwar, dass sie mich aufheitern will, indem sie über Belanglosigkeiten plaudert, aber das war noch nie ihre Stärke.
»Wir könnten es versuchen«, sagt sie. »Nach Central abzuhauen, meine ich. Wenn du willst.«
»Nein, kommt gar nicht in Frage«, erwidere ich. »Die Kampfjets würden uns abschießen.«
»Du würdest es versuchen, wenn ich nicht wäre«, vermutet Indie.
»Stimmt. Du und Caleb.« Ich bin nicht mehr so egoistisch wie damals, als ich auf der Flucht in die Canyons die Lockvögel auf der Ebene zurückgelassen und nur Vick und Eli mitgenommen habe. Caleb gehört zu unserer Mannschaft. Ich als Pilot bin für ihn verantwortlich und darf auch sein Leben nicht aufs Spiel setzen. Cassia würde nicht wollen, dass andere sterben müssen, nur damit ich zu ihr gelange.
Wenn der Steuermann die Wahrheit sagt, kann es sowieso nicht mehr lange dauern, bis wir uns wiedersehen. Die Seuche ist unter Kontrolle.
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