Cassia & Ky – Die Flucht
dass ich eine Aberration bin. Keine Ahnung, wie er es so schnell herausgefunden hat, und wir haben anschließend auch nie wieder darüber geredet. Aber wie auch immer: Es war eine nützliche Lektion. Man sollte nie einen Ort mit einem anderen vergleichen oder nach Ähnlichkeiten suchen, sondern sich immer der Realität bewusst sein.
»Wo, Eli?«, frage ich ihn.
Er lässt mich einen Moment warten, immer noch grinsend, und auch das erkenne ich wieder – er will die Sache ein bisschen spannend machen.
Ich hielt Xander die beiden roten Tabletten, die ich gestohlen hatte, auf der flachen Hand hin. Er hatte nicht geglaubt, dass ich es schaffen würde. Ich aber wollte ihm zeigen, dass ich ihm ebenbürtig war, trotz meines Status als Aberration. Nur ein einziges Mal wollte ich es jemandem beweisen, bevor ich ein Leben begann, in dem ich mich vor anderen erniedrigte. Für einen Moment fühlte ich mich mächtig. Ich fühlte mich wie mein Vater.
»Dort, wo das Wasser nicht hinkommt«, sagt Eli jetzt und blickt das Gemälde der Frau an, wo es nicht vom Wasser zerstört wurde. »Die Verstecke sind nicht hier unten. Sie müssen viel weiter oben liegen.«
»Das hätte ich mir denken können«, sage ich, als wir drei aus der Höhle eilen und die Felswände hinaufblicken. Mein Vater hat mir von den Überschwemmungen berichtet. Manchmal beobachteten die Farmer, wie der Fluss anstieg, und konnten vorsorgen. Die großen Flutwellen dagegen kamen fast ohne Vorwarnung. Die Menschen waren gezwungen, dort ihre Häuser zu errichten und ihre Felder anzulegen, wo auf dem Boden der Klamm genügend Platz war, aber wenn das Wasser stieg, zogen sie sich in die höher gelegenen Höhlen zurück.
Die Grenze zwischen Leben und Tod in den Bergen ist schmal
, sagte mein Vater.
Man kann immer nur hoffen, auf der richtigen Seite zu stehen.
Jetzt, wo wir nach ihnen Ausschau halten, sehen wir überall Hinweise auf frühere Überschwemmungen – Sedimentablagerungen oben an den Felswänden, abgestorbene Bäume, die von den reißenden Fluten hoch hinauf in Spalten und auf Vorsprünge geschleudert wurden. Vor einer solchen Gewalt müsste sich sogar die Gesellschaft beugen.
»Ich dachte immer, es sei sicherer, Sachen zu vergraben«, bemerkt Vick.
»Nicht immer«, erwidere ich und denke an den Hügel. »Manchmal ist es besser, sie so hoch hinaufzubringen wie möglich.«
Wir brauchen fast eine Stunde, um den Weg zu finden, den wir gesucht haben. Von unten ist er kaum erkennbar – die Farmer haben ihn in den Felsen geschlagen, so dass er inmitten der anderen Risse und Spalten gar nicht auffällt. Wir steigen den Pfad hinauf, bis wir um eine Biegung kommen, die ebenfalls von unten nicht sichtbar war. Ich denke, dass man auch von oben nichts erkennen könnte. Man muss schon sehr nah an den Pfad herankommen und ganz genau hinsehen.
Ganz am Ende entdecken wir die Höhlen.
Perfekte Orte, um etwas zu verstecken – weit oben gelegen, versteckt und trocken. Vick duckt sich und schlüpft in die erste hinein.
»Gibt es hier etwas zu essen?«, fragt Eli mit knurrendem Magen. Ich grinse. Wir haben unsere Vorräte sorgfältig rationiert, aber wir sind gerade rechtzeitig auf die Niederlassung gestoßen.
»Nein«, erwidert Vick. »Ky, sieh dir das hier mal an.«
Gebückt geselle ich mich zu ihm und entdecke in der Höhle lediglich einige große Kisten und Kästen. Neben der Tür erkenne ich Schleif- und Fußspuren – jemand muss vor kurzem einen Teil des Vorrats aus der Höhle geschleift und weggebracht haben.
Ich habe solche Kisten schon einmal gesehen. »Pass auf«, sage ich zu Vick, öffne vorsichtig den Deckel von einem der Behälter und schaue hinein. Drähte. Fernbedienungen. Sprengstoff. Alles aus Gesellschaftsbeständen, wie es scheint.
Ob die Farmer sich mit der Gesellschaft verbündet haben? Nicht sehr wahrscheinlich. Sie konnten die Sachen höchstens gestohlen oder durch Tauschhandel auf dem Schwarzmarkt erworben haben. Doch es musste Jahre gedauert haben, um einen Vorrat anzulegen, der eine solche Höhle füllte.
Was ist mit der übrigen Ausrüstung geschehen?
Ich höre Eli hinter mir und hebe den Arm, um ihn aufzuhalten. »Sieht aus wie das Zeug, was wir in den Mänteln haben«, bemerkt er. »Sollen wir etwas davon mitnehmen?«
»Nein«, erwidere ich. »Such weiter nach etwas zu essen. Und vergiss die Landkarte nicht!« Eli schlüpft aus der Höhle hinaus.
Vick zögert, zeigt auf das Lager und wendet ein: »Es könnte doch nützlich
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