Cassia & Ky – Die Flucht
suchen. Selbst herstellen.
Ich lasse den Strahl meiner Taschenlampe über den Tisch wandern und sehe eine geschnitzte Holzschüssel, die mit Holzkohlestiften gefüllt ist.
Ich fasse hinein und nehme einen. Er hinterlässt einen kleinen schwarzen Fleck auf meiner Hand. Die Stifte erinnern mich an die Schreibwerkzeuge, die ich mir zu Hause in der Siedlung selbst gebastelt habe. Ich habe Holzstückchen auf dem Hügel gesammelt oder nach ihnen gesucht, wenn der Ast eines Ahornbaums in unserer Siedlung abbrach. Ich band die Holzstücke zu einem Bündel zusammen und ließ sie hinunter in den Müllverbrenner, um die Enden anzuschwärzen und damit schreiben und zeichnen zu können. Einmal, als ich Rot brauchte, habe ich einige Blütenblätter von einer der blutroten Petunien im Blumenbeet gestohlen und benutzte sie, um meine Hände, die des Funktionärs und die Sonne zu färben.
»Schau mal«, sagt Vick hinter mir. Er hat eine Schachtel mit Landkarten gefunden und zieht ein paar von ihnen heraus. Im gelblichen Licht der Taschenlampe verändern sie sich und wirken noch älter, als sie in Wirklichkeit sind. Wir sehen sie durch, bis wir eine gefunden haben, auf der wir die Canyons erkennen.
»Die ist es«, sage ich und breite sie auf dem Tisch aus. Wir gruppieren uns um sie. »Hier ist unsere Schlucht.« Ich zeige darauf, doch mein Blick wird von der Schlucht neben unserer angezogen. Dort ist eine Stelle mit einer Reihe von kreuzstichartigen X-Symbolen in dicker schwarzer Tinte markiert. Ich frage mich, was sie bedeuten.
Ich wünschte, ich könnte diese Karte neu zeichnen.
Es wäre viel einfacher, die Welt so darzustellen, wie ich sie gern hätte, als herausfinden zu müssen, wie sie wirklich ist.
»Ich würde so gern schreiben können«, seufzt Eli, und es tut mir leid, dass ich keine Zeit habe, es ihm beizubringen. Später vielleicht, eines Tages. Jetzt müssen wir weiterziehen.
»Sie ist wunderschön«, sagt Eli und berührt vorsichtig die Karte. »So anders als unsere Zeichnungen auf den Bildschirmen zu Hause, in der Gesellschaft.«
»Ich weiß«, sage ich. Wer auch immer die Karte gezeichnet hat, war ein wirklicher Künstler. Die Farben und der Maßstab, alles passt haargenau.
»Kannst du zeichnen?«, fragt mich Eli.
»Ein bisschen«, antworte ich.
»Woher kannst du es?«
»Meine Mutter hat es erst sich selbst und später mir beigebracht«, erkläre ich. »Mein Vater ist früher öfter hier gewesen und hat mit den Farmern gehandelt. Einmal hat er meiner Mutter einen Pinsel mitgebracht. Einen echten. Aber Farbe konnte er sich nicht leisen. Er hatte immer vor, ihr welche zu besorgen, hat es aber nie geschafft.«
»Dann
konnte
sie doch gar nicht malen«, wirft Eli enttäuscht ein.
»Doch«, erwidere ich. »Sie konnte es. Sie hat mit Wasser auf Stein gemalt.« Ich denke an die uralten Reliefs in der Felsspalte nahe bei unserem Haus zurück. Ich frage mich, ob die Farmer sie auf die Idee gebracht haben, auf Stein zu malen. Nur, dass sie Wasser benutzte und den Pinsel immer ganz sanft führte. »Ihre Gemälde haben sich alle in Luft aufgelöst«, erkläre ich Eli.
»Woher weißt du dann, wie sie aussahen?«, fragt er.
»Weil ich sie gesehen habe, bevor sie getrocknet sind«, antworte ich. »Sie waren wunderschön.«
Eli und Vick schweigen, und ich merke, dass sie mir nicht glauben. Sie denken, ich würde das alles nur erfinden und von Bildern schwärmen, von denen ich wünschte, sie gesehen zu haben. Aber ich sage die Wahrheit. Es war fast, als lebten ihre Bilder, so wie sie glänzten und verschwanden und wieder Neues unter ihren Händen entstand. Das Schöne an diesen Gemälden war ihre Ausdrucksstärke, aber auch ihre Vergänglichkeit.
»Wie dem auch sei«, sage ich. »Es führt ein Weg hinaus.« Ich zeige ihnen, dass die Schlucht in eine Ebene auf der anderen Seite der Canyons mündet. Der Karte nach zu urteilen, ist die Vegetation dort dichter, und ein anderer Fluss fließt hindurch, größer als der in dieser Schlucht. In den Bergen jenseits der Ebene ist ein kleines dunkles Haus eingezeichnet, das ich für ein Symbol für einen sicheren Unterschlupf oder eine Niederlassung halte, weil die Farmer mit demselben Zeichen ihre eigene Niederlassung auf der Karte markiert haben. Die Gegend nördlich der Berge ist mit dem Schriftzug GESELLSCHAFT versehen. Eine der Grenzprovinzen. »Meiner Meinung nach werden wir die Ebene in zwei, drei Tagen erreichen. Dann dauert es noch mehrere Tage, bis wir sie durchquert haben
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