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Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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ist.« Eli greift nach Vicks Hand und hält sie einen Augenblick fest. Dann kreuzt er Vicks Arme über der Brust und ruft mit tränenüberströmtem Gesicht: »Unternimm doch etwas!«
    Ich drehe mich um und ziehe meinen Mantel aus.
    »Was machst du denn da?«, fragt Eli entsetzt. »Du kannst ihn doch nicht einfach so hier liegen lassen?«
    Ich habe keine Zeit, ihm zu antworten. Ich werfe meinen Mantel zu Boden und greife in das nächstbeste Staubecken – das mit der toten Regenbogenforelle. Die Kälte schmerzt.
Fließendes Wasser gefriert selten, aber dieses hier fließt nicht mehr.
Mit beiden Händen wuchte ich die Kugel heraus, obwohl sie weiterhin Gift versprüht. Sie ist schwer, aber ich renne ans Ufer, lege sie neben einen Felsen und halte Ausschau nach der nächsten. Ich kann nicht den ganzen Dreck wegräumen, der den Fluss an zahlreichen Stellen staut, aber ich kann das Gift aus einigen der Becken entfernen. Ich weiß, dass das genauso nutzlos ist wie alles, was ich bisher getan habe. Genau wie der Versuch, zu Cassia zurückzukehren, in einer Gesellschaft, die mir den Tod wünscht.
    Aber ich kann nicht aufhören.
    Eli gesellt sich zu mir und greift ebenfalls ins Wasser.
    »Es ist zu gefährlich!«, warne ich ihn. »Geh wieder unter die Bäume.«
    Er antwortet nicht, sondern hilft mir stattdessen, die nächste Kugel herauszuwuchten. Ich denke daran, wie Vick mir mit den Leichen geholfen hat, und lasse ihn gewähren.
    ***
    Den ganzen Tag lang spricht Vick mit mir. Ich weiß, dass das bedeutet, dass ich verrückt bin, aber ich höre ihn, ob ich will oder nicht.
    Er spricht mit mir, während Eli und ich die Kugeln aus dem Fluss holen. Wieder und wieder erzählt mir Vick die Geschichte von sich und Laney. Ich kann es mir lebhaft vorstellen – wie er sich in eine Anomalie verliebt. Wie er Laney seine Gefühle offenbart. Wie er die Regenforelle fängt und anschließend mit Laneys Eltern redet. Wie er für seine Entscheidung geradesteht und den Vertrag feiert. Sein Lächeln, als er nach ihrer Hand greift und sein Glück gegen den Willen der Gesellschaft einfordert. Wie er zurückkehrt und sie verschwunden ist.
    »Lass das!«, sage ich zu Vick und ignoriere Elis überraschten Blick. Ich werde wie mein Vater. Er hörte auch ständig Stimmen im Kopf, die ihm sagten, er solle zu den Menschen sprechen, er solle versuchen, die Welt zu verändern.
    Als wir so viele Kugeln wie möglich aus dem Wasser geholt haben, heben Eli und ich gemeinsam Vicks Grab aus. Es ist schwer, sogar in dem lockeren Boden, und meine Muskeln protestieren vor Erschöpfung. Das Grab wird nicht so tief, wie ich es mir gewünscht hätte. Eli gräbt verbissen an meiner Seite und schöpft mit seinen kleinen bloßen Händen die Erde aus der Grube.
    Als wir fertig sind, legen wir Vick hinein.
    Er hat einen seiner Rucksäcke in unserem Lager ausgeleert, um seinen Fang darin zu transportieren. Ich finde einen Fisch mit silbrigen Schuppen darin und lege ihn mit ins Grab. Wir lassen Vick seinen Mantel. Das Loch über seinem Herzen, wo vorher die silbrige Scheibe saß, sieht wie eine kleine Wunde aus. Falls die Gesellschaft ihn ausgräbt, wird sie nichts über ihn erfahren. Nicht einmal die Kerben in seiner Stiefelsohle werden ihnen irgendetwas verraten.
    Vick redet weiterhin mit mir, während ich aus einem Stück Sandstein einen Fisch meißele, um ihn auf seinem flachen Grab zurückzulassen. Die Fischschuppen sind stumpf und orangefarben, sie schillern nicht wie die der Forelle, die Vick gesehen hat. Mehr kann ich nicht tun. Aber ich möchte nicht nur ein Zeichen hinterlassen, dass hier ein Verstorbener liegt, sondern auch, dass dieser Mensch geliebt hat und geliebt wurde.
    »Sie haben mich nicht getötet«
, sagt Vick zu mir.
    »Ach, nein?«
, erwidere ich, so leise, dass Eli nichts hört.
    »Nein«
, sagt er amüsiert. »
Jedenfalls
so lange nicht, wie die Fische hier schwimmen, laichen und Eier legen.
«
    »Siehst du denn nicht, was hier passiert ist?«
, frage ich.
»Wir haben alles versucht, aber auch sie werden sterben.«
    Von diesem Moment an redet er nicht mehr mit mir. Ich weiß, dass er jetzt endgültig fort ist, und wünschte, die Stimme in meinem Kopf kehrte zurück. Endlich verstehe ich, dass mein Vater, solange er Stimmen hörte, niemals allein war.

Kapitel 20 CASSIA

    Mein Atem klingt krank. Wie kleine Wellen eines Flusses, die gegen Felsen schlagen, mit leisem, müdem Plätschern, in der Hoffnung, den Felsen auszuwaschen.
    »Rede mit mir!«,

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