Cassia & Ky – Die Flucht
ihren Vorschlag, indem ich weitergehe. Ich lausche auf Geräusche eines Verfolgers, höre aber jetzt nur noch die Blätter, die im zarten Wind flüstern.
Wir wandern bis zum Einbruch der Dunkelheit, schalten unsere Taschenlampen ein und gehen weiter. Indie hatte recht; auch ich habe nicht mehr das Gefühl, dass uns jemand folgt. Ich höre nur meinen eigenen Atem, spüre nur mich selbst, die Schwäche in jeder Faser meines Körpers, jede Wölbung der Muskeln, jeden meiner erschöpften Schritte. Aber nichts kann mich aufhalten, jetzt, wo ich Ky so nahe bin. Ich werde noch mehr von den Tabletten nehmen. Ich glaube nicht, dass Indie recht hat und sie giftig sind.
Als sie nicht hinsieht, drücke ich eine weitere Tablette heraus, aber meine Hände zittern so sehr, dass sie zu Boden fällt, zusammen mit einem hauchdünnen Schnipsel Papier. Und da fällt es mir wieder ein.
Xanders Aufzeichnungen. Ich wollte sie lesen.
Das Papier wird vom Wind davongetragen, und es erscheint mir viel zu anstrengend, hinterherzulaufen oder etwas Blaues im Dunkeln zu suchen.
Kapitel 19 KY
Das Geräusch von etwas Großem am Himmel weckt mich.
Seit wann greifen die so früh am Morgen an?
, schießt es mir panisch durch den Kopf. Es ist schon heller und später, als ich dachte. Ich muss sehr müde gewesen sein.
»Eli!«, rufe ich.
»Hier bin ich!«
»Wo ist Vick?«
»Er wollte die Zeit nutzen und noch ein paar Stunden fischen gehen, bevor wir aufbrechen«, antwortet Eli. »Er sagte, ich solle hierbleiben und dich schlafen lassen.«
»Nein, nein, nein!«, stoße ich hervor, und dann sagt keiner mehr etwas, weil das Brüllen der Turbinen über uns zu laut ist. Auch das Feuer klingt anders als sonst. Dumpf und schwerfällig. Präzise. Nicht wie die Regenschauer, an die wir gewöhnt sind, sondern wie felsbrockengroße Hagelkörner, die vom Himmel donnern.
Als es aufhört, warte ich keinen Augenblick, obwohl ich es sollte. »Bleib hier!«, befehle ich Eli auf und renne hinaus auf die Ebene, krieche durch das Gras, eile zu diesem verdammten Fluss, zu diesem verdammten Sumpf.
Eli missachtet meine Anweisung und folgt mir, aber ich versuche nicht mehr, ihn aufzuhalten. Ich krieche zu der Stelle am Ufer, sehe aber nicht hin.
Ich glaube an das, was ich sehe. Wenn ich nicht sehe, dass Vick tot ist, dann ist es auch nicht wahr.
Stattdessen blicke ich über das Flussufer, in das die Bomben eingeschlagen haben. Braungrüne Sumpfgräser wurden stellenweise untergepflügt und erinnern an lange, wirre Haare von verschütteten Leichen.
Die Wucht der Detonation hat Erde in den Fluss geschleudert, so dass sich das Wasser in mehreren Becken staut. Bruchstücke eines Flusses, denen der Weg abgeschnitten ist.
Ich gehe ein paar Schritte flussabwärts und sehe, dass sie den Fluss an vielen Stellen bombardiert haben, über eine weite Strecke hinweg.
Ich höre Eli schluchzen. Dann drehe ich mich um und sehe Vick.
»Ky«, schnieft Eli. »Kannst du ihm helfen?«
»Nein«, antworte ich.
Was immer vom Himmel gefallen ist, scheint Vick mit voller Wucht getroffen zu haben. Er sieht aus, als wäre er durch die Luft geschleudert worden – sein Genick ist gebrochen. Er muss sofort tot gewesen sein. Ich weiß, ich sollte froh darüber sein. Aber ich bin es nicht. Ich blicke in diese leeren Augen, die das Blau des Himmels reflektieren, weil von Vick selbst nichts mehr übrig ist.
Was hat ihn hier herausgetrieben? Warum hat er nicht im Schutz der Bäume geangelt, sondern an dieser einsehbaren Stelle?
Den Grund entdecke ich im Becken neben ihm, gefangen in dem jetzt stehenden Gewässer. Ich weiß sofort, welche Art von Fisch das ist, obwohl ich noch nie zuvor einen solchen gesehen habe.
Eine Regenbogenforelle. Ihre Farben schillern im Sonnenlicht, während sie panisch zappelt.
Hat Vick sie gesehen? Hat er sich deshalb hinaus ins Freie gewagt?
Das Wasser im Becken verdunkelt sich. Irgendetwas, eine große Kugel, liegt auf dem Grund. Bei näherem Hinsehen entdecke ich, dass die Kugel nach und nach einen Giftstoff freisetzt.
Sie hatten nicht die Absicht, Vick zu töten. Sie wollen diesen Fluss vergiften.
Währenddessen dreht sich die Forelle auf den Rücken, den weißen Bauch nach oben. Sie treibt an die Oberfläche.
Tot, wie Vick.
Ich könnte lachen und schreien zugleich.
»Er hat etwas in der Hand gehalten«, sagt Eli. Ich schaue zu ihm hin. Er hat das Stück Holz gefunden, in das Laneys Name eingeschnitzt ist. »Es ist gefallen, als er gefallen
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