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Cassia & Ky – Die Flucht

Cassia & Ky – Die Flucht

Titel: Cassia & Ky – Die Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Condie
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beruhige ich ihn.
    Vick sieht mich an. »Meinst du wirklich?«
    »Wenn die Gesellschaft sich der Aberrationen und Anomalien entledigt, ist das eine Sache. Wenn sie auch noch alle loswerden will, die mit ihnen in Verbindung stehen, wird bald niemand mehr übrig sein.« Das hoffe ich – denn dann besteht die Möglichkeit, dass es auch Patrick und Aida gutgeht.
    Vick nickt und atmet tief durch. »Weißt du, was ich geglaubt habe?«
    »Was denn?«
    »Du wirst lachen«, sagt Vick. »Aber als du das Gedicht zum ersten Mal aufgesagt hast, habe ich mich nicht nur gefragt, ob du zur Erhebung gehörst. Ich habe auch gehofft, du wärst gekommen, um mich da rauszuholen. Als mein eigener, persönlicher Steuermann.«
    »Wie bist du denn darauf gekommen?«, frage ich erstaunt.
    »Mein Vater ist ein hohes Tier in der Armee«, erklärt Vick. »Ein sehr, sehr hohes Tier. Ich habe fest daran geglaubt, dass er jemanden schicken würde, um mich zu retten, und ich dachte, du wärst das.«
    »Tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe«, sage ich kalt.
    »Hast du nicht«, entgegnet Vick. »Du hast uns da rausgebracht, weißt du nicht mehr?«
    Vicks Worte erfüllen mich mit Stolz, und ich lächle in der Dunkelheit.
    »Was, glaubst du, ist mit ihr passiert?«, frage ich nach ein paar Minuten.
    Vick antwortet: »Ich glaube, ihre Familie ist geflüchtet. Viele Aberrationen und Anomalien in unserer Umgebung sind verschwunden, und ich glaube nicht, dass die Gesellschaft sie alle erwischt hat. Vielleicht hat sich ihre Familie auf die Suche nach dem Steuermann gemacht.«
    »Meinst du wirklich?« Ich wünschte jetzt, ich hätte die Existenz des Steuermanns nicht zu vehement geleugnet.
    »Ich hoffe es«, antwortet Vick. Seine Stimme klingt hohl, nachdem er seine Geschichte erzählt hat.
    Ich reiche ihm das Stück Pappelholz, in das ihr Name eingeschnitzt ist. Er betrachtet es einen Augenblick und steckt es dann in die Manteltasche.
    »So«, sagt Vick. »Jetzt lass uns mal überlegen, wie wir diese Ebene überqueren und zu denen gelangen können, die wir suchen – wen auch immer wir dann finden werden. Ich werde dir jedenfalls noch eine Weile folgen.«
    »Bitte hör auf, das zu sagen«, entgegne ich. »Ich bin nicht euer Anführer. Wir ziehen alle an einem Strang.« Ich blicke hinauf zu dem Meer von Sternen am Himmel. Warum sie leuchten und strahlen, weiß ich nicht.
    Mein Vater wollte sich zu demjenigen erheben, der alles veränderte und alle rettete. Das war gefährlich. Trotzdem glaubten alle an ihn. Die Dorfbewohner. Meine Mutter. Ich. Dann wurde ich älter und erkannte, dass er niemals gewinnen konnte. Ich glaubte nicht länger an ihn. Ich bin nicht mit ihm gestorben, weil ich nicht mehr zu den Treffen ging.
    »Na schön«, sagt Vick. »Aber danke, dass du uns bis hierher gebracht hast.«
    »Ich danke dir auch«, sage ich.
    Vick nickt. Bevor er einschläft, holt er noch seinen eigenen Stein heraus und schneidet eine neue Kerbe in seine Stiefelsohle. Ein weiterer Tag, der ohne sie vergangen ist.

Kapitel 18 CASSIA

    »Du siehst nicht gut aus«, stellt Indie fest. »Sollen wir lieber etwas langsamer gehen?«
    »Nein«, erwidere ich. »Auf gar keinen Fall!« Wenn ich jetzt anhalte, werde ich nie wieder weitergehen.
    »Es nützt aber niemandem etwas, wenn du unterwegs stirbst«, sagt sie ärgerlich.
    Ich lache. »Ich sterbe schon nicht.« Obwohl ich erschöpft, ausgehungert und durstig bin und meine Glieder schmerzen, kommt mir die Vorstellung, zu sterben, lächerlich vor. Ich kann doch jetzt nicht sterben, wenn ich womöglich mit jedem Schritt Ky näher komme. Außerdem habe ich die blauen Tabletten. Ich lächle bei dem Gedanken daran, was wohl auf den anderen Papierschnipseln steht.
    Unablässig suche ich nach einem weiteren Zeichen von Ky. Doch auch, wenn ich nicht gleich sterben werde, bin ich wohl kränker, als ich zunächst gedacht habe, weil ich Zeichen in allem erkenne. Ich bilde mir ein, eine Nachricht von Ky in dem Muster des getrockneten, rissigen Schlamms auf dem Boden der Klamm zu entdecken. Nach dem Regen hat er sich in einer Art und Weise verfestigt, dass man die Risse durchaus als Buchstaben interpretieren könnte. Ich hocke mich hin und sehe mir das Muster an. »Für was hältst du das?«, frage ich Indie.
    »Schlamm«, erwidert sie.
    »Nein«, entgegne ich. »Schau mal genauer hin.«
    »Haut, oder Schuppen«, sagt sie, und für einen Moment bin ich so überzeugt von ihrer Idee, dass ich innehalte. Haut, oder Schuppen.

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