Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
fürchtete sich vor dunklen Winkeln, wo sich Spinnen oder Schaben verbergen konnten. Ameisen im Garten versetzten sie in Panik; Ameisen in der Küche führten bei ihr fast zum Herzschlag. Sie schrie selbst, wenn sich nur eine Fliege auf ihren Arm setzte.
Angst vor der Dunkelheit, Angst vor Würmern, Schmutz, Staub, Bakterien, Krankheiten und vor tausend anderen Dingen mehr, die mir entfallen sind – so war Kitty.
Wenn es Kitty zu arg trieb mit all ihren Befehlen und Forderungen, flüchtete ich in mein Zimmer, warf mich aufs Bett und las in einem Buch, das ich aus der Schulbibliothek mitgenommen hatte – und verlor mich ganz in der Welt von »Jane Eyre« oder »Sturmhöhe«. Ich las diese beiden Bücher immer wieder, und schließlich ging ich in die Bibliothek und suchte mir die Biographien der beiden Autorinnen, der Bronte-Schwestern, heraus.
Stück für Stück drängte ich Kittys bunte Tierparade mit meinen geliebten Büchern zurück. Ich hatte die Puppe aus dem Keller geholt und nahm sie jeden Tag aus der untersten Lade meines Kleiderschrankes hervor und sah mir ihr hübsches Gesicht an. Ich war fest entschlossen, eines Tages die Eltern meiner Mutter zu finden.
Manchmal zog ich auch die Kleider meiner Mutter an, aber sie waren alt und der Stoff schon brüchig. Ich beschloß, daß es besser sei, sie in den Schrank zu legen und sie für Boston aufzubewahren.
Tom schrieb mir lange Briefe, und auch Logan schrieb hie und da, aber ohne mir eigentlich irgend etwas Konkretes zu erzählen. Ich schickte immer noch Briefe an Fanny, auch wenn sie mir keinen einzigen beantwortete. Meine Welt war so eng und klein, daß ich das Gefühl hatte, mich von allen Menschen zu entfernen – außer von Cal.
Aber andererseits war mein Leben auch leichter geworden; die Hausarbeit, die mir früher Angst und Schrecken eingejagt hatte, mit all ihren komplizierten Vorrichtungen und Anleitungen, erledigte ich jetzt spielend. Ich hätte ebensogut mit dem Staubtuch in einer Hand und dem Staubsauger in der anderen auf die Welt gekommen sein können. Elektrizität gehörte jetzt schon zu meinem Leben, und ich hatte den Eindruck, daß es immer schon so gewesen sein müsse.
Von Tag zu Tag kam mir Cal immer mehr als mein Retter, mein Freund, mein Begleiter, mein Vertrauter vor. Er war mein Lehrer, mein Vater und mein Kavalier, wenn er mich ins Kino und in Restaurants begleitete; er mußte diese Rolle übernehmen, da meine Schulfreunde es aufgegeben hatten, mich zum Tanz oder ins Kino einzuladen. Wie hätte ich ihn auch alleine lassen können, nachdem er mir einmal sogar gesagt hatte: »Heaven, wenn du mit jemand anderem ins Kino gehst, mit wem soll ich dann gehen? Kitty haßt es, ins Kino zu gehen, sie haßt die Art Restaurants, die ich mag. Bitte laß mich nicht wegen ein paar Jungens sitzen, die dich gar nicht richtig würdigen können… Erlaube mir, dich ins Kino zu führen. Du brauchst sie doch nicht, oder?«
Was für ein schlechtes Gewissen doch diese Frage in mir auslöste, so als würde ich ihn schon betrügen, wenn ich nur daran dachte, einen Jungen zu treffen. Oft redete ich mir ein, daß Logan mir ebenso treu war wie ich ihm. Trotzdem fragte ich mich immer wieder, ob er es wirklich war. Nach einer Weile gab ich es auf, mich überhaupt für Jungens zu interessieren, um sie nicht zu ermutigen und dadurch vielleicht den besten Freund zu verlieren, den ich hatte.
Ich tat alles, um Cal zu gefallen. Ich begleitete ihn, wohin er wollte; ich trug, was er wollte, und frisierte mich so, wie er es gern hatte. Und meine Vorbehalte gegen Kitty wurden immer stärker. Es war ihre eigene Schuld, daß er sich immer mehr mir zuwandte. Er war ein wunderbarer Mensch, aber die brennenden Augen, mit denen er mich manchmal ansah, befremdeten mich und erzeugten Schuldgefühle in mir.
Meine Schulkameradinnen sahen mich auf eine eigenartige Weise an. Wußten sie, daß ich mit Cal ausging? »Hast du einen Freund von einer anderen Schule?« fragte mich meine beste Freundin Florence. »Erzähl mir von ihm. – Läßt du ihn, du weißt schon, läßt du ihn alles machen?«
»Nein«, erwiderte ich erbost. »Außerdem habe ich gar keinen Freund.«
»Hast du wohl! Seh’s dir doch an, weil du rot geworden bist!«
War ich wirklich rot geworden?
Ich eilte nach Hause, um staubzuwischen und zu saugen, um die vielen Pflanzen zu gießen und die endlosen Pflichten zu erfüllen – und dabei dachte ich die ganze Zeit darüber nach, warum ich wohl rot geworden war.
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