Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Etwas Aufregendes geschah in meinem Körper, manchmal durchfuhren mich in unerwarteten Momenten lustvolle Schauer. Einmal hatte ich mich, nur mit einem Bikini bekleidet, im Spiegel betrachtet, was mich sexuell erregte. Es ängstigte mich, und ich fühlte mich geradezu schmutzig, weil es mir gefiel, mich halbnackt zu sehen. Nie würde ich wohl so große Brüste wie Kitty haben. Meine Taille hatte nur siebenundfünfzig Zentimeter Umfang, und ich schien auch nicht größer als einssiebzig zu werden. Groß genug! Ich wollte nicht so eine Riesin wie Kitty werden.
Es dauerte Monate bis zu ihrem gefürchteten siebenunddreißigsten Geburtstag. Kitty begann auf den Kalender zu starren. Sie schien ein reiferes Alter als Verdammung aufzufassen und verfiel in Depressionen. Wenn Kitty niedergeschlagen war, mußten Cal und ich ihre Gefühle genau sondieren, oder wir wurden als gefühllos und unsensibel beschimpft. Er war ganz wild vor unerfülltem Verlangen nach ihr, während sie ihn provozierte und dann »Nein, nein, nein!« schrie. »Heute nicht… morgen vielleicht…«
»Sag doch gleich ›nie mehr‹, das meinst du doch eigentlich«, brüllte er. Mit großen Schritten ging er in den Keller und reagierte sich mit seiner elektrischen Säge an irgendeinem Stück Holz ab.
Ich folgte Kitty ins Badezimmer und hoffte, ich könnte mit ihr von Frau zu Frau sprechen, aber sie war gerade damit beschäftigt, sich eingehend im Spiegel zu betrachten. »Ist schrecklich, alt zu werden«, stöhnte sie und besah sich in einem Handspiegel, während rings herum scheinwerferartige Lampen brannten, die jedes noch so winzige Fältchen deutlich zeigten.
»Ich sehe keine Krähenfüße, Mutter«, sagte ich ehrlich. Ich mochte sie viel lieber, wenn sie sich menschlich benahm. Nannte ich sie jetzt auch manchmal Kitty, dann zwang sie mich nicht mehr, mich zu verbessern. Trotzdem war ich auf der Hut und fragte mich, warum sie seit neuestem nicht mehr so viel Respekt von mir verlangte.
»Muß heut früher nach Hause kommen«, murmelte sie vor sich hin und betrachtete sich noch immer unverwandt im Spiegel. »Ist nicht recht, Cal so zu behandeln.« Sie grinste breit, um ihre Zähne und ihr Zahnfleisch zu kontrollieren, und suchte nach grauen Haaren. »Muß mal wieder nach Hause fahren – sollen mich noch mal sehen, solange ich gut ausschaue. Schönheit hält nicht ewig, so wie ich’s früher immer gedacht habe! Als ich so alt wie du war, dacht’ ich, ich werd’ nie alt. Hab’ mich damals nie um Falten gekümmert; und jetzt ist es das einzige, an was ich denken kann.«
»Du bist zu streng mit dir selbst«, sagte ich. Sie tat mir leid. Außerdem fühlte ich mich immer etwas nervös, wenn ich mit ihr allein in einem Raum war. »Ich finde, du siehst gut zehn Jahre jünger aus.«
»Aber deshalb sehe ich immer noch älter als Cal aus!« schrie sie verbittert. »Verglichen mit mir, sieht er wie ein Kind aus.«
Es stimmte. Cal sah jünger als Kitty aus.
Später, als wir in der Küche saßen und etwas zu uns nahmen, jammerte Kitty wieder über ihr Alter. »Als ich jünger war, war ich das bestaussehende Mädchen der Stadt, stimmt’s Cal?«
»Ja«, stimmte Cal ihr zu und bohrte mit Genuß seine Gabel in einen Apfelkuchen. (Ich studierte eingehend Kochbücher, um ihn mit verschiedenen Desserts, die er gerne mochte, zu verwöhnen.) »Du warst wirklich das schönste Mädchen der Stadt.«
Woher wußte er das? Er hatte sie ja damals noch nicht gekannt.
»Hab’ heute ein graues Haar in meinen Augenbrauen entdeckt«, beklagte sich Kitty. »Fühl’ mich überhaupt nicht mehr wohl in meiner Haut, überhaupt nicht.«
»Du siehst phantastisch aus, Kitty, einfach phantastisch«, sagte er, ohne sie anzusehen.
Nach ihrem Verhalten zu schließen, war es etwas Furchtbares, obwohl sie noch nicht vierzig war. Dabei mußte man ehrlich sagen, wenn Kitty sich anzog und herrichtete, sah sie wunderschön aus. Wenn doch nur ihr Verhalten auch ihrem Aussehen entsprochen hätte!
Ich war schon zwei Jahre und zwei Monate bei Kitty und Cal, als sie mir eines Tages verkündete: »Wenn im Juni die Schule zu Ende ist, fahren wir nach Winnerrow.«
Das war eine schöne Überraschung für mich, und meine Vorfreude, Großvater und Fanny wiederzusehen, war groß. Und die Aussicht, die seltsamen, strengen Eltern Kittys kennenzulernen, faszinierte mich ebenso. Sie haßte sie. Sie hatten aus ihr das gemacht, was sie war – trotzdem besuchte sie ihre Eltern immer wieder.
Eines Tages
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