Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
keine Angst vor ihnen.«
»Versprichst du mir, daß du mich an meinem Arbeitsplatz anrufst, wenn es hier sehr schlimm wird? Laß es auf keinen Fall zu, daß sie dir irgend etwas antut – versprichst du mir das?«
Ich nickte, und für einen kurzen Augenblick hielt er mich so fest an sich gedrückt, daß ich das starke Pochen seines Herzens spürte. Ich blickte auf und entdeckte Kitty, wie sie uns hinter einem Vorhang beobachtete. Schnell trat ich zurück und tat so, als hätte er mich wegen einer kleineren Verletzung getröstet.
»Sie sieht uns, Cal.«
»Das ist mir gleichgültig.«
»Aber mir nicht. Ich kann dich zwar anrufen, aber du brauchst eine gewisse Zeit, bis du zu Hause bist – und inzwischen kann sie mir die Haut abziehen.«
Er starrte mich lange an, als hätte er die ganze Zeit über nicht geahnt, daß sie dazu fähig wäre, und würde es jetzt erst begreifen. Er war immer noch betroffen, als wir das Gartenwerkzeug einpackten und hineingingen. Kitty war in einem Stuhl eingeschlafen.
Dann waren da die Nächte. Bald mußte ich mich nicht mehr anstrengen, nichts zu hören, denn Cal diskutierte nicht mehr mit Kitty; seine Küsse waren nicht mehr leidenschaftlich, sondern nur noch freundliche Küßchen auf die Wange, als begehrte er sie nicht mehr. Ich konnte ihm nachfühlen, wie sich Ohnmacht und Wut in ihm stauten, denn mir ging es ebenso.
Zu Thanksgiving briet ich meinen ersten Truthahn aus dem Supermarkt, und Kitty lud alle ihre »Mädels« ein, um mit ihren Kochkünsten anzugeben. »Ist doch gar nichts«, wiederholte sie mehrmals, als man ihr über das Essen und ihren Haushalt Komplimente machte. »Hab’ ja so wenig Zeit, Heaven hilft mir manchmal«, gestand sie großzügig, während ich den Tisch deckte, »aber ihr wißt ja, wie die jungen Mädchen heute sind, faul und nur Jungens im Kopf.«
Weihnachten kam, und ich erhielt schäbige, kleine Geschenke von Kitty und teure von Cal, die er mir heimlich zusteckte. Er und Kitty gingen nun auf viele Partys und ließen mich allein zu Hause vor dem Fernseher. Erst jetzt erfuhr ich, daß Kitty Alkoholprobleme hatte. Ein Drink löste eine Kettenreaktion aus, und sie trank einen nach dem anderen, und oft mußte Cal sie ins Schlafzimmer tragen, sie ausziehen und ins Bett legen, manchmal sogar mit meiner Hilfe.
Es war mir unangenehm, eine hilflose Frau zusammen mit ihrem Mann zu entkleiden, das Eindringen in die Privatsphäre machte mich verlegen. Aber unausgesprochen herrschte eine enge Verbindung zwischen mir und Cal. Er sah mir in die Augen – und ich in seine. Er liebte mich, ich war sicher, daß er mich liebte. Und wenn ich mich nachts in mein Bett kuschelte, wußte ich mich geborgen unter seinem Schutz.
Ende Februar feierten Cal und ich meinen siebzehnten Geburtstag. Ich war nun schon ein Jahr und einen Monat bei ihm und Kitty. Ich wußte, Cal war weder ein richtiger Vater noch ein Onkel, ich hatte überhaupt noch nie einen Mann wie ihn gesehen. Er war jemand, der ebenso wie ich eine Familie brauchte, jemanden, den er lieben konnte, und er fand sich eben mit dem Naheliegendsten zurecht. Nie schimpfte oder kritisierte er mich, nie sprach er ein lautes oder hartes Wort zu mir, wie Kitty das meistens tat.
Cal und ich waren Freunde. Ich wußte auch, daß ich ihn liebte. Er gab mir, was ich noch nie zuvor in meinem Leben gehabt hatte; er liebte mich, er brauchte mich, er verstand mich. Ich wäre für ihn lächelnd in den Tod gegangen.
Er kaufte mir Nylonstrümpfe und Stöckelschuhe als Geburtstagsgeschenk. Wenn Kitty nicht zu Hause war, übte ich, damit zu gehen. Es war so, als würde ich noch einmal das Gehen auf neuen, längeren Beinen lernen. Ich wurde mir auf einmal meiner Beine bewußt, sie gefielen mir außerordentlich, und ich achtete darauf, daß sie von allen bewundert werden konnten. Cal lachte mich aus. Natürlich mußte ich die Schuhe und die Nylonstrümpfe bei all den anderen Sachen im Keller verstecken, wo Kitty nie alleine hinging.
Es wurde schnell Frühling in Atlanta. Weil Cal und ich so viel Arbeit in den Garten investiert hatten, wurde er der schönste in Candlewick. Aber Kitty konnte den Garten gar nicht genießen, weil die Bienen um die Blumen summten, die Ameisen auf dem Boden krochen und winzige Spinnen sich mit ihren hauchdünnen Fäden in ihren Haaren verfingen. Einmal brach sich Kitty fast das Genick, als sie schreiend und kreischend versuchte, eines dieser Tierchen von ihrer Schulter herunterzuwischen.
Kitty
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