Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
als hätten sie dies alles schon tausendmal gehört und würden es auch in Zukunft tausendmal wieder hören. »Luke kommt zurück und sorgt für dich«, versuchte Großmutter Sarah zu trösten. Sarah weinte noch immer. »Er ist’n guter Junge. Wenn er sein neues Baby sieht, verzeiht er dir.«
Sarah erhob sich stöhnend und machte sich daran, unser Abendessen vorzubereiten. Ich eilte auf sie zu, um ihr zu helfen. »Setz dich, Mutter, oder leg dich aufs Bett. Ich kann das Essen schon alleine herrichten.«
»Dank dir, Heaven… Muß aber was tun, um nicht nachzudenken. Hab’ ihn wahnsinnig geliebt. Mein Gott, hab’ ich Luke Casteel geliebt und so großes Verlangen nach ihm gehabt. Dabei hab’ ich’s weder ahnen noch erraten können, daß er nur sich selbst liebt.«
Nach dem Abendessen zischte Fanny mir etwas ins Ohr. »Ich werd’ das neue Baby hassen. Mutter ist zu alt für’n Baby… Ich muß jetzt mein eigenes Baby bekommen.«
»Das mußt du überhaupt nicht!« fuhr ich sie scharf an. »Fanny, du machst dir was vor, wenn du meinst, daß du mit einem eigenen Kind erwachsen und frei bist… Mit einem Baby hast du noch weniger Freiheit als jetzt. Also paß auf, was du mit deinen Freunden machst.«
»Du verstehst ja gar nichts davon. Passiert ja nicht zum erstenmal! Bist ja noch viel mehr ein Kind als ich, sonst wüßtest du, was ich meine.«
»Und was meinst du?«
Schluchzend klammerte sie sich an mir fest. »Weiß nicht… Ich will so viel, was wir nicht haben, daß es direkt weh tut. Es muß was für mich geben, daß ich ein besseres Leben führen kann. Hab’ keinen richtigen Freund wie du. Die Jungen lieben mich nicht so wie Logan dich. Heaven, hilf mir bitte, bitte hilf mir.«
»Ich helfe dir, ich helfe dir«, versprach ich. Wir hielten uns fest umschlungen.
Die Augusttage wurden viel zu schnell immer kürzer. Die letzten Wochen von Sarahs Schwangerschaft verliefen mehr oder weniger qualvoll – für sie wie für uns –, obwohl Vater jetzt öfter als zuvor zu Hause auftauchte und nicht mehr auf und ab ging und brüllte. Er hatte sich wohl mit der Tatsache abgefunden, daß Sarah vielleicht noch fünf oder sechs Kinder haben würde, bevor ihre Zeit um war.
Schwerfällig stolperte sie in der Hütte umher und hielt oft ihre roten, schwieligen Hände an die Wölbung ihres Bauches gepreßt, in der ihr fünftes Baby lag, das sie nicht mit besonders großer Freude erwartete. Sie murmelte entweder Gebete vor sich hin oder brüllte herum. Von der Liebenswürdigkeit, die Sarah in ihren besten Zeiten besessen hatte, war kaum mehr etwas zu spüren. Auf ihr ständiges Keifen, an das wir uns schon notgedrungen gewöhnt hatten, folgte jedoch etwas viel Schlimmeres – ein bedrückendes Schweigen.
Anstatt Vater und uns anzuschreien, bewegte sie sich nur mehr mit schlurfendem Gang wie eine alte Frau – und dabei war Sarah erst achtundzwanzig. Wenn Vater nach Hause kam, bemerkte sie ihn kaum, sie erkundigte sich nicht einmal, wo er gewesen war. Sie vergaß »Shirley’s Place«, und sie vergaß ihn zu fragen, ob er »sauberes« oder »schmutziges« Geld verdiente. Sie machte den Eindruck, als igele sie sich ein und kämpfe innerlich um eine Entscheidung.
Tag für Tag wurde Sarah stiller. Sie zog sich immer mehr in sich zurück und kümmerte sich immer weniger um uns. Es tat weh, keine Mutter mehr zu haben, besonders da Keith und Unsere-Jane sie so dringend gebraucht hätten. Ihre Augen wurden hart, wenn Vater ein- oder zweimal in der Woche kam. Er arbeitete in Winnerrow und hatte nun eine ehrliche Arbeit, aber sie weigerte sich, es zu glauben, so als würde sie nach einem Grund suchen, ihn zu hassen und ihm zu mißtrauen. Manchmal hörte ich, wie er Sarah von seiner Arbeit erzählte und dabei verlegen aussah, weil sie ihm keine Fragen mehr danach stellte. »Arbeit als Mädchen für alles, für die Kirche und für reiche Bankiersdamen, die ihre lilienweißen Hände nicht beschmutzen wollen.«
Tatsächlich verdiente sich Vater als Mädchen für alles bei den Reichen einige Dollars, und Sarah konnte eigentlich nichts dagegen haben. Vater konnte bei allen möglichen Arbeiten einspringen.
Unsere-Jane bekam Sarahs Depression mit, und es schien, als würde sie diesen Sommer noch öfter krank als sonst. Sie war es, die jede Erkältung bekam, die wir anderen ohne weiteres abschüttelten. Sie hatte Windpocken, und kaum waren die vorüber, bekam sie einen allergischen Ausschlag und weinte eine Woche lang
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