Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
hatte.
Er versuchte zu lächeln, sah jedoch ziemlich betreten aus. »Ich wünschte mir, daß du das nicht gesehen oder gehört hättest. Ich habe auf dich gewartet, als Fanny aufgetaucht ist. Sie hat sich einfach das Kleid vom Leib gerissen und nichts darunter angehabt… Es war nicht meine Schuld, ich schwöre es dir, bestimmt nicht.«
»Und das soll ich dir glauben?«
»Es ist nicht meine Schuld«, rief er wieder und wurde ganz rot im Gesicht.
»Ich weiß schon…« sagte ich kühl. Ich kannte Fanny ja. Und nach allem, was ich gehört hatte, mochten die Jungen lockere Mädchen, die gar nicht schüchtern und gehemmt waren, sondern so wie meine jüngere Schwester Fanny.
»He«, rief Logan und zog meinen Kopf näher zu sich. Meine Lippen waren den seinen nahe. »Dich will ich, du gefällst mir. Fanny ist vielleicht hübsch und herausfordernd… Mir ist es aber lieber, wenn die Mädchen etwas zurückhaltender sind. Und wenn es mir aus irgendeinem Grund nicht gelingt, dich zu heiraten, dann will ich von all dem sowieso nichts mehr wissen.«
Als er mich küßte, läuteten die Glocken. Ich hörte den zukünftigen Klang der Hochzeitsglocken. Mrs. Logan Grant Stonewall… das sollte ich sein.
Sarah begann jetzt, Selbstgespräche zu führen, als quäle sie ein Alptraum.
»Muß raus, muß raus aus dieser Hölle«, murmelte sie vor sich hin. »Nur Arbeit, essen, schlafen, und ich wart’ und wart’, daß er nach Hause kommt – «
Es war unübersehbar und quälend zu beobachten, wie Sarahs kleine Welt düsterer und hoffnungsloser wurde. Und meistens ließ sie ihre dumpfe Verzweiflung an mir aus. Eines Abends fiel ich erschöpft auf meine Schlafdecke und weinte leise Tränen in mein hartes Kissen. Großmutter hörte es und legte mir tröstend die Hand auf die Schulter.
»Schscht, wein nicht, Sarah mag dich ja, Kind. Dein Vater regt sie auf, aber du bist halt da, er nicht. Sie kann ihn ja nicht anschreien, wenn er gar nicht da ist, und hauen auch nicht – auch wenn er da wär’. Du kannst keinem Menschen mit Heulen und Schreien weh tun, der dich nicht liebt. Sie heult und schreit ja nun schon jahrein, jahraus, aber er hört es nicht, und es kümmert ihn nicht. Sie muß immer hier sein, also schlägt sie dich.«
»Warum hat er sie überhaupt geheiratet, wenn er sie nicht liebt, Großmutter?« schluchzte ich. »Nur damit ich eine Stiefmutter bekomme, die mich nicht mag?«
»Das weiß der Himmel, warum und wieso die Männer so sind, wie sie sind.« Die Großmutter atmete schwer. Sie drehte sich um und umarmte liebevoll Großvater, den sie Toby nannte. Mit einem Kuß und einem Streicheln über sein schrundig zerfurchtes Gesicht schenkte sie ihm mehr Liebe als wir alle zusammen. »Schau zu, daß du den Richtigen bekommst, so wie ich’s gemacht hab’, dann ist alles gut. Und wart’s ab, bis du alt genug bist und schon vernünftig. So fünfzehn.«
Wenn ein Mädchen aus den Bergen sechzehn Jahre alt geworden war und sich noch nicht verlobt hatte, dann wurde aus ihr höchstwahrscheinlich eine alte Jungfer.
»Jetzt flüstern sie wieder«, brabbelte Sarah und spitzte die Ohren hinter ihrem verwaschenen roten Vorhang, »und reden über mich. ‘s Mädchen heult wieder. Warum bin ich zu ihr so gemein und nicht zu Fanny, die ja den ganzen Ärger macht? Oder zu Unserer-Jane oder Keith? Und vor allem, warum nicht zu Tom?«
Ich hielt den Atem an, weil Sarah mit dem Gedanken spielte, ihre Wut an Tom auszulassen.
Es war ein schrecklicher Tag, als Sarah Tom mit einer Peitsche schlug, als könnte sie sich dafür an Vater rächen, daß er nie zu ihr so gewesen war, wie sie es sich gewünscht hatte. »Hab’ ich dir nicht gesagt, du sollst in die Stadt gehen und Geld verdienen?«
»Aber Mutter! Keiner wollte mich anstellen. Viele Jungens haben einen elektrischen Rasenmäher, der die Blätter aufsaugt. Die brauchen keinen Burschen aus den Bergen, der nicht einmal einen Handrasenmäher hat!«
»Keine Ausreden! Ich brauch’ Geld, Tom, Geld!«
»Mutter… Morgen versuch’ ich’s wieder«, schrie Tom und hob seine Arme schützend vor sein Gesicht. »So verschwollen und blutig krieg’ ich doch nie ‘n Job!«
Verstört blickte Sarah zu Boden – leider. Tom hatte nämlich vergessen, sich die Schuhe abzuputzen. »Hast wohl keine Augen im Kopf, was? Der Boden ist geputzt! Grad eben! Schau ihn dir jetzt an, völlig verdreckt!«
Patsch! Sie hieb mit ihrer schweren Faust mitten in Toms verblüfftes Gesicht, daß er gegen
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