Casteel-Saga 01 - Dunkle Wasser
Tag und Nacht – damit verscheuchte sie Vater, der mitten in der Nacht aufstand, um wieder einmal »Shirley’s Place« aufzusuchen.
Es gab aber auch Tage, an denen sich Unsere-Jane wohl fühlte. Wenn sie glücklich war und lächelte, gab es kein hübscheres Kind auf der Welt als Unsere-Jane, dann war sie die unumschränkte Herrscherin in der Hütte der Casteels. In der Tat, die Talbewohner erzählten sich immer, wie schön doch alle Kinder des grausamen, düsteren und aufbrausenden Luke Casteel geraten waren. Trotz seiner – in den Augen neidischer Frauen – nicht nur gewöhnlichen, sondern auch grobschlächtigen und ausgesprochen häßlichen Frau Sarah.
Eines Tages wollte Keith, der fast nie etwas verlangte, Wachsmalstifte haben. Die einzigen, die zu der Zeit vorhanden waren, hatte Fanny vor Monaten von Miß Deale bekommen – und Fanny hatte die Schachtel noch kein einziges Mal aufgemacht.
»Nein!« quäkte Fanny. »Keith bekommt meine funkelnagelneuen Wachskreiden nicht!«
»Borg ihm doch deine Wachsmalstifte, sonst redet er womöglich überhaupt nicht mehr«, bat ich sie. Ich hatte immer ein wachsames Auge auf meinen kleinen, stillen Bruder, der wie Großvater die Angewohnheit hatte, herumzusitzen und nicht viel zu tun. Trotzdem sah Großvater viel genauer als wir alle. Wie sonst hätte er jedes einzelne Härchen eines Eichhörnchenschweifes schnitzen können? Wer hatte schon solche Augen, die nicht nur sehen, sondern auch wirklich beobachten konnten?
»Mir egal, wenn er nie wieder ein Wort spricht«, kreischte Fanny.
Daraufhin nahm ihr Tom einfach die Wachskreiden weg und gab sie Keith, während Fanny schrie und drohte, sich in den Brunnen zu schmeißen.
»Maul halten!« donnerte Vater, der eben zur Tür herein kam und seine streitenden Kinder sehen mußte. Er verzog das Gesicht, als bereite ihm das Gezeter große Kopfschmerzen.
»Hast sie gemacht, oder?« war Sarahs einziger Willkommensgruß. Dann preßte sie die Lippen zusammen und sagte kein Wort mehr. Vater sah sie zornig an und schleuderte unser Essen auf den blankgescheuerten Tisch. Ich kalkulierte schnell, wie lange die fünfzig Pfund Mehl, die zehn Pfund Schmalz in der Dose, die Säcke mit Feldbohnen und weißen Bohnen ausreichen würden.
Peng, die Haustür fiel ins Schloß. Bestürzt sah ich auf. Es war Vater, der mit langen Schritten auf seinen Lieferwagen zuging. Er war wieder fort.
Jedesmal, wenn Vater Sarah allein zurückließ, fügte sie entweder uns oder sich etwas Furchtbares zu. Trotzdem konnte ich manchmal verstehen, daß er nicht bleiben wollte. Es waren nicht nur wir Kinder, die an seinen Nerven zerrten, sondern er und Sarah gerieten sich auch ständig in die Haare. Sarah war ja nie besonders hübsch gewesen, aber nun hatte sie auch ihre Liebenswürdigkeit verloren.
Morgens war es jetzt schon ziemlich kalt. Die Eichhörnchen huschten hin und her und suchten Nüsse für ihren Wintervorrat. Tom half Großvater Holz zum Schnitzen zu sammeln; das war keine leichte Aufgabe, denn es mußte ganz bestimmtes Holz sein, das weder zu hart noch zu weich war und auch nicht splitterte. Eines Tages standen Vater und ich allein im Hof. »Vater«, begann ich stockend, »ich tue mein Bestes für die Familie. Könntest du mir vielleicht ein wenig helfen… und auch mal ein nettes Wort sagen?«
»Hab’ dir schon gesagt, sollst mich in Ruh lassen!« Er warf mir einen durchdringenden Blick zu, bevor er mir wieder den Rücken kehrte. »Verschwinde, sonst bekommst du, was dir gebührt.«
»Was gebührt mir denn?« fragte ich ihn unverfroren, dabei erinnerten ihn meine Augen gewiß an all das, was er verloren hatte: Sie.
Wie kleine dunkle Miniatursoldaten hockten die Stare auf der Wäscheleine. Aufgeplusterte, verschlafene Vögel, die mit geschlossenen Augen die kommende Kälte erwarteten und auf den nächsten Sommer hofften. Bald würde oben in den Bergen Schnee fallen. Seufzend schichtete ich Brennholz. Ich wußte, daß es nicht genug war, um die Hütte warm zu halten. Die Axt steckte noch in einem Baumstumpf. Wenn ich noch ein Wort sage, haut er womöglich mit der Axt auf mich ein, dachte ich. So sagte ich lieber nichts mehr und begann, das Holz, das Vater gehackt hatte, ordentlich aufzustapeln.
»So«, sagte Vater zu Sarah, als sie an der Tür erschien, »das müßte ausreichen, bis ich wiederkomm’.«
»Wohin gehst du noch so spät?« fragte ihn Sarah, die sich ausnahmsweise die Haare gewaschen und etwas hübsch gemacht hatte. »Wird
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