Casteel-Saga 02 - Schwarzer Engel
verwundet worden. Denn er war als erster im Käfig gewesen und hatte mit seinem Gewehr nur einen Schuß abgeben können. Dann hatte ihm eine Katze mit einem mächtigen Prankenhieb das Gewehr aus der Hand geschlagen. Pa war hineingestürzt und hatte zwei Katzen mit dem Gewehr erschossen, aber zuvor war auch er ziemlich übel zugerichtet worden.
Und dann passierte das Schlimmste. Tom starb, und nicht Pa. Tom, Tom, Tom, der beste von allen Casteels. Tom, der mich geliebt hatte und mein Gefährte, meine zweite Hälfte gewesen war. Tom hatte mir den Mut gegeben, den ich brauchte, um bis zu dem Tag durchzuhalten und zu warten, an dem mich Pa als seine Tochter akzeptieren würde.
Die Zeitungen machten Tom zum Helden. Sie verbreiteten sein lachendes Foto, von einer Küste zur anderen. Toms Lebensgeschichte wurde zur Lektüre für alle, und sie hatten sie so gut formuliert, daß sie nur tapfer, aber nicht übertrieben klang. Erst als ich wußte, daß Pa am Leben bleiben würde, faßte ich den Mut, Großpapa die Nachricht, was mit Tom passiert war, mitzuteilen. Großpapa konnte keine Zeitungen lesen, und Nachrichtensendungen mochte er nicht. Lieber hörte er den ganzen Tag lang den Wetterbericht, während er schnitzte. Seine knotigen, alten Hände hielten inne und ließen den kleinen Elefanten los, den er gerade schnitzte. Auf Logans Bitten hin hatte er schon vor langer Zeit mit einem Schach-Set aus Dschungeltieren begonnen.
»Mein Luke bleibt doch am Leben, oder, Heaven-Mädel?« fragte er, als ich zu Ende erzählt hatte. »Wir könn’ Annie nich noch mal mit ’nem Verlust belastn.«
»Ich habe im Krankenhaus angerufen, Großpapa, er ist über den Berg, und wir können ihn besuchen.«
»Haste mir doch nich erzählt, Tom wär tot, Heaven-Mädel? Tom kann doch nich sterbn, wo er doch grad einundzwanzig is… Hat ja nie viel Glück, meine Jungs bei mir zu habn.«
Im Krankenhaus ließ ich Großpapa allein in das kleine Zimmer gehen, in dem Pa lag. Er war von Kopf bis Fuß einbandagiert und konnte nur durch ein winziges Loch herausschauen. Zitternd lehnte ich mich gegen die Wand. Ich weinte, weinte um so vieles, das sich anders hätte entwickeln können. Ich fühlte mich einsam, ganz schrecklich allein. Wer würde mich denn jetzt noch lieben, wer denn? Als ob Gott meine Frage gehört hätte, legten sich plötzlich Arme zärtlich um meine Taille, und ich wurde nach hinten an eine starke Brust gezogen. Jemand legte seinen Kopf dicht an meinen.
»Wein doch nicht, Heaven«, sagte eine bekannte Stimme. Es war Logan! Er drehte mich um, um mich zu umarmen. »Dein Vater wird am Leben bleiben, er ist eine Kämpfernatur. Er hat noch eine Menge, wofür er leben muß – seine Frau, seinen Sohn und dich. Er ist zäh, war’s ja schon immer. Aber er wird nicht mehr so gut aussehen.«
»Tom ist tot, weißt du denn das nicht? Tom ist tot, Logan, tot!«
»Alle wissen, daß Tom wie ein Held starb. Weil er in den Käfig ging, wurden die Löwen, die über den Dompteur hergefallen waren, abgelenkt. Der Dompteur hatte vier Kinder und blieb am Leben, Heaven, er lebt. Jetzt sag etwas zu deinem Pa.«
Was konnte ich bloß zu einem Mann sagen, den ich immer lieben wollte, aber nie dazu fähig war? Was konnte er mir sagen, jetzt wo es zu spät war für Worte, die uns zusammenbringen konnten? Aber trotzdem sah er mich unverwandt an. Durch die kleine Öffnung konnte ich ein trauriges Auge sehen, und seine verbundene Hand machte eine unbeholfene Bewegung. Als ob er mich berühren wollte.
»Es tut mir leid«, gelang es mir zu flüstern, »es tut mir so leid um Tom.« Ich wischte die Tränen weg, die mir wieder übers Gesicht liefen. »Alles, was zwischen uns beiden falsch lief, tut mir leid!«
Ich bildete mir ein, zu hören, wie er meinen Namen murmelte, aber da rannte ich schon zum Krankenhaus hinaus. Ich rannte in einen brütendheißen Tag hinein. Dann klammerte ich mich an einen eisernen Laternenpfahl und weinte bitterlich. Wie sollte ich ohne Tom weiterleben, wie denn?
»Komm, Heaven«, sagte Logan; neben ihm humpelte Großvater. »Was geschehen ist, ist geschehen, und wir können es nicht rückgängig machen.«
»Fanny ist nicht einmal zu Toms Beerdigung erschienen«, schluchzte ich. Ich war froh darüber, daß er mich so ohne weiteres umarmte und mir so vieles verzieh.
»Ist es denn nicht egal, was Fanny tut oder nicht?« Dabei hob er mein verweintes Gesicht hoch und sah mir ernst in die Augen. »Waren wir denn nicht immer am
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