Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
Kinn nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger massierte.
»Annie, ich habe Mr. Tatterton die Stufen Ihrer Genesung sehr genau beschrieben. Tun Sie nichts, ohne ihn vorher um Erlaubnis zu fragen, ja?«
»Ja, aber – «
»Kein Aber. Solche Aber führen zu Komplikationen«, fügte er lächelnd hinzu. »Kann ich mich auf Sie verlassen?« Ich wandte meinen Blick ab, unfähig, meine Enttäuschung zu verbergen. »Na, na, Sie sollten glücklich sein, denn Sie sind auf dem besten Weg.« Er tätschelte meine Hand und wandte sich zur Tür. Tony verabschiedete sich von ihm, begleitete ihn jedoch nicht nach unten, sondern blieb bei mir. Mit traurigen blauen Augen blickte er auf mich herunter.
»Als du zusammengebrochen bist, war ich mir sicher, daß wir dich wieder ins Krankenhaus bringen müßten. Jetzt haben wir so gute Nachrichten, und doch siehst du nicht glücklich aus.«
»Ich will endlich ins normale Leben zurückkehren, Tony.«
»Natürlich.« Er stand einen Moment lang nachdenklich da; doch plötzlich begann er zu strahlen, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. »Aber ich habe noch eine Überraschung für dich! Und jetzt, da deine Genesung voranschreitet, bin ich darüber noch glücklicher!«
»Was ist es?« Er sah tatsächlich freudig erregt aus – seine Augen wirkten wieder jung und hatten einen weichen blauen Glanz.
»Als wir damals den Aufzug installierten, beschloß ich eine Rampe an der Haupttreppe bauen zu lassen, und das ist heute nachmittag geschehen. Du kannst jetzt selbst im Rollstuhl zur Treppe fahren und dich hinuntergleiten lassen. Dann kannst du die Rampe hinabrollen und alle Wege und Pfade des Parkes entlangfahren. Natürlich werde ich dich die ersten Male begleiten, aber im Lauf der Zeit – «
»Es wird nicht mehr lange dauern, und ich werde auf meinen Beinen hinausgehen, Tony.« Einen Augenblick später bereute ich, daß ich diese Worte so schnell und schroff hervorgestoßen hatte. Er wirkte auf einmal niedergeschlagen wie ein kleiner Junge, der gerade gescholten wurde, aber ich konnte es auch nicht ändern. Mein Fortschritt hatte mich mit so viel Hoffnung erfüllt, und nun erzählten mir Tony und der Arzt, daß ich noch viel länger Geduld haben müßte, als ich geglaubt hatte!
»Natürlich. Ich wollte dich nicht – «
»Aber ich bin dir doch so dankbar für alles, was du getan hast, Tony. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, hinaus und in den Park von Farthy zu gehen. Hab Dank für alles, Tony. Ich bin sicher, daß ich ohne dich nicht so schnell gesund werden könnte.«
Seine Miene hellte sich wieder auf.
»Ich freue mich, daß du so denkst, Annie. Oh«, meinte er dann und blickte zu der Staffelei hinüber, »wie ich sehe, bist du mit deinem Bild vorangekommen. Wie wunderbar.« Ich beobachtete sein Gesicht, als er sich freudig erregt meinem Werk zuwandte. Doch wenige Augenblicke später verschwand sein Lächeln und damit alles, was ihn hatte strahlend und jung erscheinen lassen. Dann wandte er sich um und starrte aus dem Fenster, als könnten seine Augen die Finsternis durchdringen, die die Nacht über den Park von Farthy gebreitet hatte…
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Bisher ist es ja nur ein Entwurf.«
»Ja.« Als er mich wieder anblickte, lag ein sorgenvoller Ausdruck in seinen Augen. Er legte die Stirn in Falten und biß sich auf die Lippen, als müßte er sich angestrengt auf etwas konzentrieren. »Es ist… sehr gut, aber ich hatte gehofft, ich könnte dir zusehen, wie du die Gärten und Hecken, die kleinen Gehwege und die hübschen Springbrunnen malst.«
»Aber, Tony. Die Brunnen sind doch gar nicht angestellt und völlig verstopft von dem buntgefärbten Herbstlaub. Und die Gärten brauchen dringend Pflege. Alle Pflanzen sind völlig von Unkraut überwuchert. Einige der Hecken sind zwar zugeschnitten, aber auch sie brauchen noch viel mehr Pflege!«
Er starrte hinaus in die pechschwarze Nacht, ohne auch nur einmal zu zwinkern. Offensichtlich hatte er kein einziges Wort von dem gehört, was ich gesagt hatte.
»Wenn die Sonne herauskommt, dann glitzert und funkelt der Park in ihrem Licht.« Er lächelte wie entrückt. »Jillian sagt, es sei, als stünde ein Riese auf dem Dach und würfe Juwelen auf den Rasen hinab. Ja, sie ist eine wirkliche Künstlerin, und sie hat den Blick und die Phantasie einer Künstlerin. Sie malt nur schöne, angenehme Dinge, Dinge, die ihr das Gefühl geben, jung und lebendig zu sein. Deshalb hat sie auch angefangen, Kinderbücher zu
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