Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
mich sehen. Ich wünschte, Luke… was ist mit Luke? Du hast ihn doch inzwischen angerufen, oder?«
»Ja, ich habe ihn angerufen«, sagte Tony.
»Oh, ich werde ihm zeigen, daß ich stehen kann! Sag mir, wann er genau kommt, und ich werde auf meinen beiden Beinen stehen, wenn er durch die Tür kommt und – «
»Er kann morgen nicht kommen«, erklärte Tony müde. »Er muß irgendeinen Einstufungstest machen.«
Die Aufregung, die mich mit Energie erfüllt hatte, strömte aus mir heraus wie die Luft aus einem zerplatzten Ballon. Ich fühlte, wie meine neugefundene Kraft immer mehr nachließ und wie mein stürmisch klopfendes Herz zu flattern begann. Erneut fiel dieser verhaßte Schatten auf mich…
»Was? Das kann ihn doch unmöglich den ganzen Tag in Anspruch nehmen.«
»Es kommt ihm einfach ungelegen. Vielleicht übermorgen oder am Wochenende. Er wußte es noch nicht genau.«
»Er wußte es noch nicht genau? Das hat Luke gesagt?«
Plötzlich hatte ich das Gefühl, als wären meine Beine wie Pudding. Mit einem Schlag wich alle Kraft aus ihnen. Ich schrie auf, Tony sprang auf mich zu, erreichte mich jedoch unglücklicherweise nicht rechtzeitig, um mich aufzufangen. Hart schlug mein Körper auf dem Boden auf.
18. K APITEL
R EBELLION
Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, fiel mir als erstes auf, daß ich ein anderes Nachthemd trug; eines von den seidenen, die Tony mir ins Krankenhaus mitgebracht hatte. Aber warum? Hatte ich mein anderes Nachthemd zerrissen, als ich zu Boden fiel? Es war mir ausgesprochen peinlich, daß Tony mich offensichtlich ausgezogen und mir ein anderes Nachthemd angezogen hatte, während ich bewußtlos war. Gut, er war mein Urgroßvater, und doch… er war ein Mann!
Ehe ich noch weiter darüber nachdenken konnte, kamen er und Dr. Malisoff in mein Zimmer. Meine Gedanken wurden klarer, und ich erinnerte mich wieder an meine Fortschritte. Es war tatsächlich so – ich war auf dem Weg der Besserung! Trotz meines Zusammenbruchs – ich wußte, daß die Tage meiner Invalidität gezählt waren! Bald würde ich zum ersten Mal wieder ohne Hilfe gehen können. Und dann würde ich nie wieder abhängig sein von Krankenschwestern und Ärzten, von Tabletten und orthopädischen Hilfsmitteln!
Ich wartete geduldig, aber aufgeregt darauf, daß Dr. Malisoff seine Untersuchung beendete. Er testete gerade meine Reflexe, während Tony in der Nähe der Tür stand und mich ängstlich beobachtete.
Als ich wieder im Bett lag, fühlte ich erneut, wie Leben in meine Beine strömte. Und obwohl der Arzt eine emotionslose, sachliche Miene aufgesetzt hatte, konnte ich in seinen Augen etwas Neues erkennen, als er auf mich herunterblickte.
»Nun?« fragte ich ängstlich. Tony trat einen Schritt näher, damit auch er die Antwort hören konnte. »Geht es jetzt aufwärts mit mir?«
»Ja«, sagte er, »Ihre Beine sind dabei, sich zu regenerieren; Ihre Reflexe sind bereits stärker.«
»Oh, endlich!! Endlich! Endlich! Endlich!« jubilierte ich. Ich blickte zu Tony hinüber; doch der machte ein sorgenvolles Gesicht. Der Arzt sagte ihm flüsternd ein paar Worte, und sie verließen den Raum. Mein Herz pochte erregt, während sie sich im Wohnzimmer unterhielten. Ich hatte keine Ahnung, warum ich nicht zuhören durfte. Wahrscheinlich wollte er nicht, daß ich mich zu sehr aufregte. Als sie zurückkamen, sahen beide wesentlich fröhlicher aus.
»Annie«, sagte der Arzt. »Sie sind ganz eindeutig dabei, sich wieder vollkommen zu erholen. Trotzdem ist es gerade jetzt sehr wichtig, daß Sie die Dinge nicht überstürzen und dadurch einen Rückschlag erleiden.«
»Oh, das werde ich nicht tun.«
»Vor allem müssen Sie meine Anweisungen haargenau befolgen. Verstehen Sie das?« Ich nickte. »Der Grund, weshalb Sie einen Zusammenbruch erlitten haben, nachdem Sie aufgestanden sind, ist, daß Sie körperlich noch immer sehr geschwächt sind. Wir wollen jetzt erst einmal Ihre Kraft für den vor Ihnen liegenden Kampf aufbauen, jetzt wo Ihre Beine wieder anfangen zu funktionieren. Ich werde Ihre Therapie Ihrem Zustand anpassen und habe Mr. Tatterton bereits einige diesbezügliche Instruktionen gegeben. Auf jeden Fall komme ich übermorgen wieder, um Sie nochmals zu untersuchen.«
»Kann ich morgen früh nicht anfangen, die Gehhilfe auszuprobieren? Ich möchte gleich nach dem Aufstehen versuchen, ein wenig zu stehen und zu gehen.«
Dr. Malisoff wechselte einen Blick mit Tony; dann sah er mich an, wobei er sein
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