Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
ich.
»Hat dir irgend jemand etwas über die Umstände meines angeblichen Todes erzählt?« fragte er und betrachtete mich aufmerksam.
»Ich habe hier und dort etwas darüber gehört. Rye Whiskey hat mir davon erzählt, aber ich weiß nie, wieviel von seinen Erzählungen wahr ist und wieviel seiner lebhaften Phantasie entsprungen ist. Ich weiß, daß du auf einem Pferd ins Meer geritten bist – auf Jillians Pferd –, und seither hat man nichts mehr von dir gesehen oder gehört.«
»Ja, dieser Teil der Geschichte stimmt.«
»Wie konnte das passieren?«
Erneut schienen seine Augen zu lächeln.
»Wenn du mich so ansiehst – so leidenschaftlich –, dann erinnerst du mich wirklich sehr an deine Mutter, als sie in deinem Alter war. Ich denke, du bist eine ebenso aufmerksame Zuhörerin, wie sie es war. Wirst du mir zuhören?« fragte er und lehnte sich wieder zurück.
Ich nickte, verspürte jedoch eine gewisse Besorgnis, als ich diesen neuen ernsthaften Tonfall in seiner Stimme hörte.
»Was ich dir vorhin erzählt habe, stimmt: Ich war ein kränkliches, melancholisches Kind. Auch während meiner Jugend suchten mich ständig düstere, traurige Gedanken heim. Mein Bruder Tony, der für mich mehr ein Vater war, tat sein Bestes, um aus mir einen hoffnungsvollen und heiteren Menschen zu machen. Doch es schien, als wäre seit meiner Geburt eine dunkle graue Wolke über mir gehangen, die größer und immer größer wurde. Und schließlich sah ich nur mehr dieses elende Grau, auch wenn der Tag in Wirklichkeit hell und strahlend war. Kannst du das verstehen?«
Ich schüttelte den Kopf, denn ich verstand es wirklich nicht. Ich konnte nicht nachvollziehen, wie jemand sein ganzes Leben unter einer dunklen Wolke verbringen konnte. Das Licht der Sonne war so wichtig für die Blumen und Bäume und das Gras und die Vögel und besonders für junge Menschen: sie mußten einfach hin und wieder in seiner zärtlichen Wärme baden! Ohne Licht konnte nichts gedeihen. Troy erriet meine Gedanken.
»Ich konnte mich nicht zu einem gesunden jungen Mann entwickeln, nicht, solange mich diese Weltuntergangsstimmung in ihrem Griff hatte. Je schlechter es mir ging, desto mehr kümmerte sich Tony um mich, desto mehr Zeit und Energie opferte er mir. Seine Frau Jillian war völlig egozentrisch. Das einzige, was sie wirklich liebte, war ihr eigenes Spiegelbild; und sie erwartete von allen Menschen in ihrer Umgebung, daß sie sich ebenso von ihrer Schönheit bezaubern ließen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie eifersüchtig sie auf alles war, was Tonys Aufmerksamkeit von ihr ablenkte, und wenn es nur für einen winzigen Augenblick war!
So zog ich schließlich in diese Hütte, um mein Leben und meine Arbeit dem Tatterton-Spielzeug zu widmen. Es war ein sehr einsames Leben. Die meisten Menschen wären dabei verrückt geworden, ich weiß, aber ich war doch nicht so allein, wie du vielleicht denkst… die Spielsachen wurden meine Welt, die winzigen Figuren waren meine Freunde, und ich dachte mir Geschichten über ihr Leben aus.«
Er blickte sich im Zimmer um, sah einige der Spielsachen an und lachte.
»Vielleicht war ich verrückt. Wer kann das schon beurteilen? Aber wenn, dann war es eine harmlose Verrücktheit. Auf jeden Fall«, sagte er und lehnte sich wieder vor, »wurde ich gequält von Alpträumen über meinen nahen Tod. Im Winter war es besonders schlimm, denn die Nächte sind dann so lang – man hat zu viel Zeit für zu viele Träume! Ich versuchte, den Schlaf zu verdrängen bis kurz vor dem Morgengrauen. Manchmal gelang mir das auch. Wenn ich merkte, daß ich es nicht schaffen würde, ging ich hinaus und ließ die kalte, klare Luft meine trübsinnigen Gedanken wegwaschen. Ich wanderte die Wege unter den Pinien entlang, und erst wenn mein Kopf wieder klar war, kam ich hierher zurück und versuchte zu schlafen.«
»Wieso bist du im Winter hier geblieben? Du hattest doch genug Geld, hinzugehen, wo immer du wolltest, oder?«
»Ja. Ich versuchte, allem zu entkommen. Ich verbrachte den Winter bald in Florida, bald in Neapel oder an der Riviera, überall auf der Welt. Ich reiste unaufhörlich. Doch meine Wintergedanken waren immer in meinem Gepäck, sie begleiteten mich überall hin. Ich konnte sie nicht abschütteln, ganz gleichgültig, was ich tat und wohin ich ging. So kehrte ich immer wieder geschlagen nach Hause zurück, und es blieb mir nichts anderes übrig, als mein Schicksal anzunehmen!
Irgendwann während dieser Zeit kam
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