Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
so alt wie ich, und sie funktioniert noch immer. Irgend jemand hat sie ihr geschickt, als ich zur Welt gekommen bin.«
»Ja«, sagte er. Er hatte sichtlich Mühe, auch nur dieses kleine Wort auszusprechen. Er wirkte auf einmal ängstlich; seine Augen hatten sich geweitet… Dann veränderte sich seine Miene, und er sah auf einmal sehr traurig aus. Er senkte den Kopf und schien einen Moment lang tief in Gedanken versunken. Dann bemerkte er plötzlich, daß ich ihn beobachtete, und er lächelte.
Ich wandte meinen Blick schnell von ihm ab und sah mir die Hütte genauer an. Sie war anheimelnd, behaglich und warm, so wie ich mir ein Gartenhäuschen immer vorgestellt hatte. Obwohl die Möbelstücke alt waren, sah keines von ihnen abgenutzt aus. Regale, Dielen, Vorhänge – alles wirkte gepflegt und sauber. Es war das Haus eines Menschen, der auf jede Kleinigkeit achtete. Es gab nur zwei Zimmer, und im Wohnzimmer, direkt vor dem Kamin, befand sich ein langer Tisch, auf dem kleine Metallstücke, Werkzeuge und Teile eines mittelalterlichen Miniaturdorfes lagen. Die Kirche mit Spitzdach und Glasmosaikfenstern war bereits fertig. Da war sogar ein Pastor, der am Eingang stand und die ankommenden Kirchgänger freundlich begrüßte. Außerdem gab es Geschäfte, elegante Steinhäuser und ärmliche Hütten. Die winzigen, von Pferden gezogenen Kutschen waren erst halb fertig, genauso wie manche der Gebäude und Gassen.
»Ich habe Eistee da, wenn du welchen willst.«
»Ja, bitte.« Ich lenkte meinen Rollstuhl ins Wohnzimmer hinein, um das Tatterton-Spielzeugdorf genauer zu betrachten.
»Das Dorf hier nimmt mich viel länger in Anspruch, als ich geplant habe. Immer wenn ich meine, daß ich fertig bin, fällt mir noch etwas ein, was ich unbedingt hinzufügen möchte«, erklärte er.
»Es ist so schön und sieht so echt aus! Wunderbar! Und wie ausdrucksvoll Sie die Gesichter gestaltet haben. Jede Figur ist anders.« Ich blickte auf und ertappte ihn dabei, wie er mich anstarrte, ein warmes Lächeln auf den Lippen. Schließlich wurde es auch ihm bewußt.
»Oh… der Tee. Ich bin sofort da«, sagte er und ging in die Küche. Ich lehnte mich zurück und blickte mich in der Hütte um.
»So, hier ist er«, sagte er, als er nach kurzer Zeit mit dem Eistee in der Hand zurückkam. Ich nahm ihn, trank jedoch nicht. Er versuchte, meinem Blick auszuweichen, wandte sich ab und räumte geschäftig Werkzeuge in die kleinen Nischen in der Wand.
»Sie sind der Mann, den ich von meinem Zimmer aus gesehen habe«, stellte ich fest.
»Was?«
»Ich habe Sie am Grab meiner Eltern gesehen.«
»Ich war einmal kurz dort, ja.«
»Mehr als einmal«, beharrte ich.
»Vielleicht, ja.« Ein Lächeln huschte über seine Lippen, und er setzte sich auf den Holzschemel am Kamin. Dann verschränkte er seine Hände hinter dem Kopf, streckte seine langen, schlanken Beine aus und blickte zur Decke. Jetzt, da ich sein Profil genauer betrachten konnte, erkannte ich, daß er auf seine Art sehr gut aussah. Er strahlte eine Sensibilität aus, die mich an Luke erinnerte, an den zärtlichen, einfühlsamen, poetischen Luke.
»Meine Spaziergänge sind zur Zeit die einzige Erholung, wenn ich lange gearbeitet habe. Ich kenne jeden Winkel hier.«
»Sie waren auch bei der Trauerfeier da. Ich habe Sie gesehen«, sagte ich in ziemlich scharfem Tonfall. »Warum konnten Sie nicht aus dem Wald kommen und sich zu den anderen Trauergästen gesellen?«
»Oh… ich bin sehr menschenscheu. So«, fügte er hastig hinzu, sichtlich bestrebt, das Thema zu wechseln, »und wie geht es mit deiner Genesung voran?«
»Aber warum wollten Sie dort nicht gesehen werden? Haben Sie Angst vor Tony?«
»Nein.« Er lächelte.
»Dann kann ich nicht verstehen, warum Sie sich hier so… so verstecken.«
»So bin ich eben. Ich glaube, jeder Mensch hat seine Eigenarten. Ich gehöre zu den Menschen, die gerne allein sind.«
»Aber warum?«
»Warum?« Er lachte. »Du läßt nicht locker, wenn du etwas wissen willst, stimmt’s? Genau wie deine Mutter.«
»Ich verstehe nicht, daß Sie so viel von ihr wissen, wenn Sie doch so gerne allein sind.«
Wieder lachte er.
»Ich verstehe vor allem eines: Ich muß bei dir sehr aufpassen, wenn ich meine Geheimnisse für mich behalten will. Also, ich bin gerne allein«, sagte er ruhig, »aber es hat mir sehr gefallen, mit deiner Mutter zusammenzusein, und ich unterhalte mich auch gerne mit anderen Leuten, so wie jetzt mit dir. Und nun erzähle mir, welche
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