Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
deine Mutter hierher. Eine Blume in der Wüste… fröhlich, hell und wunderschön. Ich wußte, daß sie in ihrem jungen Leben bereits viel durchgemacht hatte, doch sie schien trotzdem noch den Optimismus und die Unschuld der Jugend zu besitzen; das, was ältere Menschen so neidisch macht.
Du hast dasselbe wunderbare Leuchten in den Augen, Annie.
Ich kann es sehen. Obwohl dir und den Menschen, die du liebst, schreckliche Dinge zugestoßen sind, ist dieses Strahlen noch da – wie eine große brennende Kerze in einem dunklen Tunnel. Irgendein beneidenswerter Mensch wird durch dieses Licht aus der Dunkelheit seiner eigenen traurigen Gedanken geleitet werden und glücklich in der Wärme, die von dir ausgeht, leben. Ich weiß es.«
Ich konnte nicht umhin zu erröten, denn ich war es nicht gewohnt, daß ein Mann solche Dinge zu mir sagte.
»Danke«, stammelte ich. »Aber – du hast mir noch nicht erzählt, was dich dazu getrieben hat, mit diesem Pferd ins Meer zu reiten.«
Er lehnte sich zurück und verschränkte erneut seine Hände hinter dem Kopf. Das war offensichtlich seine Lieblingshaltung. Lange Zeit dachte er nach, die Augen starr zur Decke gerichtet.
Ich wartete geduldig, denn ich konnte mir gut vorstellen, wie schwer es für jemanden sein mußte, zu erklären, warum er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Schließlich wandte er sich mir wieder zu.
»Als ich deine Mutter kennengelernt hatte, und die Heiterkeit und Lebendigkeit, die sie umgab, da erfüllte mich wieder Hoffnung, was mein eigenes Leben betraf, und eine Zeitlang war ich ein ganz anderer Mensch. Ich dachte sogar… ich glaubte, ich könnte eine Frau wie sie finden und heiraten und Kinder haben – vielleicht eine Tochter, so wie du.
Meine Traurigkeit kehrte jedoch zurück, als sich mir dieser Wunsch nicht erfüllte. Ich hatte eine deprimierende Wirkung auf die meisten Frauen, weißt du, denn sie hatten nicht genug Geduld, um mit meinem Wesen zurechtzukommen. Eines Tages, auf einer Party, die Tony gab, um mich aufzuheitern, entschied ich mich für den Tod… den Tod, der mich mein ganzes Leben lang verfolgt hatte, den Tod, der in den Schatten saß und mich angrinste, meiner harrte, mich mit seinen dunklen, grauen Augen verfolgte… der geduldig auf eine günstige Gelegenheit wartete. Ich hatte keine Lust mehr, mein ganzes Leben auf der Flucht vor seinem Zugriff, dem ich letztendlich ohnehin nicht entkommen konnte, zu verbringen. Ich forderte den Tod heraus, und das überraschte ihn. Er wußte nicht, wie er reagieren sollte. Ich ritt Jillians wildes Pferd ins Meer, und ich war mir sicher, daß damit das Ende meiner traurigen Existenz gekommen sein würde…
Doch wie ich schon sagte, der Tod war zu überrascht. Ich wurde an den Strand gespült, lebend. Ich hatte ein weiteres Mal versagt.
Ich erkannte jedoch, daß sich mir die Gelegenheit bot, auf andere Art zu entfliehen. Ich ließ alle in dem Glauben, ich sei tot. Das gab mir die Chance, zu einem anderen, einem Schattenwesen, zu werden, und ein für allemal Ruhe zu haben vor Menschen, die mich aufheitern wollten. Ich hatte sie ohnehin immer nur enttäuscht, denn sie hatten schließlich nie Erfolg gehabt mit ihren Bemühungen und hatten sich mit meinem trübsinnigen, düsteren Zustand abfinden müssen.
So hingegen fiel ich niemandem mehr zur Last und hatte meine Ruhe. Eines Tages jedoch entdeckte mich mein Bruder. Er war nach meinem Tod in tiefe Trauer versunken, und so hätte ich ohnehin nicht länger vor ihm verbergen können, daß ich lebte. Wir trafen ein Abkommen… Ich sollte hier leben, ohne daß jemand wußte, wer ich war, und er wollte weiterhin so tun, als wäre ich tot. Als einige Jahre vergangen waren und die meisten Menschen, die mich gekannt hatten, weggezogen oder gestorben waren, erzählten wir den Leuten, daß ich ein neuer Künstler sei, der Spielsachen im Stil von Troy schuf.
Und so belästigt mich niemand, und ich kann ungestört der Mensch sein, der ich nun einmal bin. Wie ich schon sagte: Ich arbeite, lebe mit meinen Erinnerungen und meiner friedvollen Einsamkeit.
Jetzt kennst du die Wahrheit, und ich verlasse mich darauf, daß du dein Versprechen hältst und sie in deinem Herzen bewahrst.«
»Ich werde niemandem etwas erzählen, aber ich wünschte, du würdest zurückkommen in die Welt auf der anderen Seite des Labyrinths. Ich weiß nicht genau warum, aber ich würde dich gerne dorthin mitnehmen.«
»Du bist so entzückend, wie du in deinem Rollstuhl sitzt und
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