Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
wir immer wieder das Klirren von Eiswürfeln in Limonadengläsern. Alte Leute saßen vor ihren Haustüren und beobachteten neugierig die Straße. Von Zeit zu Zeit hörten wir Ausrufe wie: »Das ist das Stonewall-Mädchen« oder: »Ist das nicht ein Casteel?«
Ich haßte die Art, wie sie den Namen »Casteel« aussprachen; er klang in ihrem Munde wie ein Schimpfwort. Ich wußte, warum die Leute eine so schlechte Meinung von den Casteels hatten. Es lag an dem extravaganten Verhalten meiner Tante Fanny und an der Tatsache, daß die Casteels aus den Willies stammten. Sie waren Bergbewohner, die weniger gut erzogen waren als die Stadtbewohner und nur einen Bruchteil ihres Reichtums besaßen. Die Menschen in der Stadt verachteten die Art, wie sich die Leute aus den Willies kleideten und wie sie lebten, und das war zum Teil auch verständlich. Aber sahen sie Luke nicht an, daß er das alles hinter sich gelassen hatte? Er hatte ganz recht mit seinem Wahlspruch »Strebe nach den höchsten Gipfeln«.
Am meisten liebte ich diesen Heimweg von der Schule im Frühling, wenn alle Bäume und Sträucher an der Straße blühten und die Rasenflächen in saftigem Grün leuchteten, wenn Tulpen, Azaleen und Iris in voller Blüte standen und die Gehwege und Innenhöfe sauber gefegt waren. Sperlinge hockten dann auf den Telefondrähten aufgereiht und beobachteten die Autos und die Menschen unter sich. Rotkehlchen saßen in den Zweigen und spähten neugierig aus dem kühlen, grünen Blattwerk. Von Zeit zu Zeit flog eine Amsel vorbei. Die Energie dieser kleinen Vögel schien unerschöpflich, mochte es auch noch so heiß sein.
Alles wirkte heiter und lebendig.
Fast den ganzen Weg über schwieg Luke und hielt den Kopf gesenkt. Als ich an der Auffahrt von Hasbrouck House stehenblieb, hatte er nicht einmal bemerkt, daß wir zu Hause angekommen waren.
»Willst du dich für einen Augenblick mit mir in den Pavillon setzen?« fragte ich hoffnungsvoll, denn ich wollte mich nicht von ihm trennen, ehe er mir nicht erzählt hatte, was ihn bedrückte.
»Nein, es ist besser, wenn ich nach Hause gehe«, sagte er, und seine Stimme klang traurig.
»Luke Toby Casteel!« rief ich schließlich und stemmte die Hände in die Hüften. »Normalerweise haben wir keine Geheimnisse voreinander, selbst wenn es um schmerzliche Dinge geht.«
Er starrte mich einen Augenblick lang an, als ob er eben gerade erwacht sei und meine Anwesenheit erst jetzt bemerken würde. Dann wandte er den Blick ab.
»Ich habe gestern die Nachricht erhalten, daß ich mit einem Vollstipendium in Harvard angenommen worden bin«, sagte er überraschend gleichgültig und ruhig.
»O Luke, wie wunderbar!«
Er hob die Hand, um mir zu bedeuten, daß das nicht alles war, was er mir zu sagen hatte. Dann senkte er wieder den Blick, um all seinen Mut zu sammeln, während ich spürte, wie ein Kloß meine Kehle zuschnürte.
»Ich habe meiner Mutter nie gesagt, daß ich mich in Harvard beworben habe. Wann immer ich Harvard erwähnte, ließ sie eine Schimpftirade auf diese undankbare Familie los, die sich für etwas Besseres hielte. Sie tobte und schimpfte auf Onkel Keith und Tante Jane, weil sie nie anrufen oder schreiben. Es ärgert sie, daß sie nie nach Farthinggale eingeladen wurde, nicht einmal zur Hochzeit deiner Eltern. Sie wirft alles durcheinander: Harvard, die Tattertons und all jene, die sie als ›verdammte Stadtsnobs‹ bezeichnet.«
»O Luke, das ist so ungerecht dir gegenüber«, tröstete ich ihn.
Er nickte.
»Ich habe ihr also nichts von meiner Bewerbung erzählt«, fuhr er fort. »Gestern kam dann mit der Post die Aufnahmebestätigung, und sie hat den Brief geöffnet. Dann hat sie sich betrunken und ihn zerrissen. Ich habe die Fetzen auf dem Fußboden meines Zimmers gefunden.«
»O Luke, das tut mir leid«, flüsterte ich.
»Das macht nichts. Die Tatsache, daß sie ihn zerrissen hat, wird mich nicht daran hindern, nach Harvard zu gehen. Aber die ekelhaften Dinge, die sie gesagt hat, als sie betrunken war, haben mir sehr weh getan.«
Obwohl er mir nicht erzählte, was sie gesagt hatte, wußte ich doch, gegen wen sich ihre Worte gerichtet hatten.
»Über meinen Vater?« Ich atmete tief durch, um mich auf das Schlimmste gefaßt zu machen. »Du kannst mir auch das erzählen.« Ich schloß die Augen und bebte innerlich in Erwartung all der Gemeinheiten, die ich nun hören würde.
»Ich werde dir nicht alles sagen, denn einiges war so haßerfüllt und grauenvoll, daß ich mich
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